Limenas Thasou / Thasos
Nachdem das Flughafentaxi am Montagmorgen überpünktlich vor halb 8 vorm Boot stand, gibt es keinen Grund mehr, länger an dieser lärmigen und stinkigen Fischerpier in Keramoti zu verbleiben; es weht ein sanfter Nordostwind, als die Orion nur unter Vorsegel langsam zurück nach Thasos segelt – zwei Stunden Erholung …
Im Hafen von Thasos geht es dann gleich los mit dem großen Projekt für die kommenden Tage: unter der achteren Cockpitbank gibt es ein paar Roststellen am Lukenrand, die sollen beseitigt werden. Dazu muss die Bank ab; gehalten wird sie von 19 M6-Muttern, die zu lösen dauert 10 Minuten – vorher die Backskiste auszuräumen um an die Muttern dranzukommen aber zwei Stunden.
Die nächsten 72 Stunden heißt es schleifen, primern, spachteln, lackieren und alles wieder zusammenbauen. Der kostenlose und geräumige Hafen von Thasos ist der richtige Ort dafür, hier stört es niemanden, wenn die Flex tönt. Nur ein Wasseranschluss wäre schön, um dem entsetzlichen Dreck Herr zu werden – den gibt es aber nicht, nur eine Zapfstelle an der Promenade, von wo das Wasser in Kanistern einige 100 Meter weit getragen werden muss.
Alle halbe Stunde kommt und geht eine Fähre – Thasos ist sehr gut ans Festland angebunden, zum einen sicher wegen der vielen Touristen, schließlich hat die Insel ja keinen Flughafen; auf jede Fähre rollen aber auch ein paar Tieflader mit riesigen, schneeweißen Marmorblöcken. Der Marmorabbau auf der Insel läuft seit der Antike – wann die wohl die ganze Insel stückweise verkauft haben werden?
Am Donnerstagnachmittag sind die Arbeiten pünktlich abgeschlossen und das Chaos halbwegs beseitigt; bei der guten Fährverbindung nach Keramoti (40 Minuten Fahrzeit, 5€) besteht auch kein Anlass, sich mit der Orion nochmal in die dortige ‘Fischfabrik’ zu begeben. Lieber essen wir nochmal lecker in Limenas Thasou, bevor wir den Hafen am nächsten Tag endgültig verlassen.
Paralia Paradisos / Thasos
Für Freitag ist noch wenig Wind angesagt, aber leider signifikanter Schwell aus Süd – keine guten Voraussetzungen für die recht ungeschützte Ostküste der Insel. Da wir die aber noch kaum kennenlernen konnten, gehen wir das Risiko eines suboptimalen Ankerplatzes für die Nacht ein und machen uns auf den Weg gen Südosten.
Schon nach einer Stunde erreichen wir den ersten Strand, den wir nicht verpassen wollen: Paralia Saliara liegt direkt unter den Marmorsteinbrüchen in den Bergen, und der Strand besteht ausschließlich aus maximal erbsengroßen, rundgeschliffenen Steinchen aus reinweißem Marmor. Das sieht nicht nur toll aus, sondern man liegt auch super darauf: dieser ‘Marmorteppich’ hat viel weniger inneren Zusammenhalt als nasser Sand, legt man sich hinein, passt er sich wie die Kügelchen in einem Sitzsack sofort den Körperformen an. – super bequem, und nichts knirscht zwischen den Zähnen!
Nennenswerten Schutz bietet der Ort aber nicht, wir bleiben also nur für einen ausgedehnten Badestopp, dann geht’s weiter nach Süden. Auf einmal kommt auch Wind auf, viel kräftiger als erwartet – und natürlich auf die Nase. Wir kreuzen halbherzig einen Schlag, motoren aber die letzte Stunde gegenan, schließlich soll noch vor Sonnenuntergang der Grill heiß sein …
Tagesziel – und einziger Ort mit etwas Südschutz an der ganzen Ostküste – ist Paralia Paradisos, im Reiseprospekt als Paradise Beach zu buchen; es gibt ein großes Hotel mit Strandliegen, aber jetzt ist natürlich rein gar nichts mehr los. Wem 23° Wassertemperatur nicht zu kalt sind und wer hunderte Meter karibikgleichen Sandstrand für sich alleine haben möchte, muss hier im Oktober Urlaub machen …
Wir liegen nicht vor dem Strand, sondern etwas seitlich davon vor einer steilen Felswand; hier erstreckt sich eine ausgedehnte Sandfläche auf gleichmäßigen 4 Metern Tiefe bis direkt vor die Felsen, und eine kleine Halbinsel bietet Schutz vor dem Schwell aus Süden. Wir bringen zusätzlich den Heckanker aus, um das Boot mit dem Bug nach Osten zeigen zu lassen, dem Restschwell entgegen, der um die Ecke kommt. Der Plan geht auf, die Nacht ist hinreichend ruhig; erst am Morgen, als der erste Nordwind aufkommt, klopft eine kleine Windsee an die Bordwand. Etwas mühsam nur, den Heckanker über Hand aufzuholen mit dem Winddruck auf dem Boot – der Halt dieses Sandgrunds ist unbeschreiblich!
Alyki / Thasos
Mit dem Nordwind steuern wir die nächste Ankerbucht an der Südostküste von Thasos an, Alyki; in der kommenden Nacht soll der Wind stark zulegen, und dafür hat die tief eingeschnittene Bucht genau die richtige Ausrichtung. Dass wir vor drei Jahren schon mal hier gelegen haben spielt da eine untergeordnete Rolle – die Bucht ist nämlich nebenbei noch sehr schön, und bietet als Besonderheit einen Marmorsteinbruch aus der Antike, den man schwimmend erreichen kann. Hier erkennt man noch angefangene Säulensegmente und große Quader, behauen vor über 2000 Jahren. Und alles ist so leuchtend weiß!
Auch hier ist am Strand nicht mehr viel los, nur ein Teil der Lokale scheint noch geöffnet zu sein; im Sommer ist Alyki aber wohl ein sehr beliebtes Ziel. Jetzt ist es ruhig und beschaulich, die die Bucht schützende Halbinsel ist von grünem Pinienwald bestanden – der an der Südwestspitze in einer Steilwand endet, bis hierhin hat man nämlich damals die ganze Halbinsel bis auf den Meeresspiegel abgebaut! Wir werfen wieder den Grill an und lassen den letzten Abend auf Thasos ganz gechillt ausklingen …
Paralia Mourtzephlos / Limnos
Tatsächlich steigert sich der Wind bis 2 Uhr in der Nacht, beginnt dann aber auch schon wieder nachzulassen; das war vorhergesagt, und daher stehen wir früh auf, wir wollen nämlich noch etwas davon abbekommen, um die Überfahrt zurück nach Limnos anzugehen.
Wir gehen um kurz nach 7 Uhr Anker auf – unter Vorsegel, wie sich das gehört. Während wir am Steinbruch vorbei aus der Bucht segeln, geht im Osten gerade die Sonne auf – genau hinter Samothraki! Ein magischer Anblick, die Insel scheint zu glühen – ob die alten ‘Großen Götter’, denen wir dort vor zwei Wochen die Ehre erwiesen haben, uns einen Gruß schicken? Schließlich standen sie ja im Ruf, die Seefahrer zu beschützen – nur zu, jede Unterstützung ist willkommen!
Am Vormittag haben wir noch eine kleine Windstärke 5 im Mittel, aber noch die Welle zu den 6-7 der vergangenen Nacht. Da ein ordentlicher Strom quer setzt und wir entsprechend vorhalten müssen, wird der Nordost für uns statt zum Halbwind- eher zum gemäßigten Amwindkurs. Die signifikante Wellenhöhe schätzen wir auf einen guten Meter, ab und an kommt also auch mal eine zwei Meter hohe Wasserwand auf uns zu – deutlich höher als unser Freibord. Da wir Strecke machen wollen und nicht an Tuch sparen, pflügt die Orion mit sechseinhalb Knoten durch die See; mit dem extrem schlanken Bug und Dank 12 Tonnen Masse, die nicht so leicht aufzustoppen sind, ist es recht beeindruckend, wenn wir mit eine solchen Wasserwand kollidieren: viele Meter hoch spritz das Wasser auf beiden Seiten des Vorschiffs, man kann sehr gut die Kräfte spüren, die hier gegeneinander wirken. Einmal kommt so viel Wasser über, dass es das ganze Schiff überflutet und im hohen Bogen über die Sprayhood geflogen kommt; ein eventueller Rudergänger wäre nass bis auf die Knochen gewesen, aber glücklicherweise übernimmt ja die Aries diesen Job 🙂
Gegen Mittag geht der Wind aber auf 4 Beaufort zurück, und wir setzen den Code 0; bald sind es aber kaum noch 10 Knoten Wind, und wir müssen die letzten zwei Stunden bis Limnos doch noch motoren, aber das war ja so vorhergesagt – gut, dass wir früh aufgestanden sind!
Schließlich erreichen wir nach 42 Seemeilen die Nordwestspitze von Limnos, wo wir hinter der Mourtzephlos-Halbinsel einen hervorragenden Ankerplatz kennen – schließlich sind wir von hier vor etwa drei Wochen nach Samothraki aufgebrochen.
Myrina / Limnos
Montagmorgen geht es mit ganz leichtem Rückenwind die verbleibenden sieben Seemeilen in den Hafen von Myrina. Es ist nicht mehr ganz so viel los wie bei unserem Besuch auf dem Hinweg, aber einige Yachten liegen doch noch hier. Deutlicher merkt man das Saisonende am Betrieb auf der Uferpromenade und im Ort, hier ist es viel ruhiger – aber sehr schön, die Ruhe gefällt uns, alle Einheimischen scheinen sich vom Sommer zu erholen und wirken tiefenentspannt.
Das sind wir auch, gefällt es uns doch so gut hier; nicht zu unserer Entspannung tragen aber die Wettervorhersagen bei: ab Mittwoch kündigt sich Meltemi an. Nicht so schlimm, wir haben ja Zeit, sollte man meinen – aber dass selbst in der 10-Tage-Vorhersage die Windstärke kaum mehr unter 7 fällt (mit den entsprechenden Wellenhöhen) ist nicht so beglückend. Wochenlang kein Wind, und nun eingeweht auf Limnos?
Wir erwägen kurz einen Alarmstart bevor es losgeht, sehen dann aber davon ab – was sollen wir drei Wochen vor der Zeit auf Lesvos? Da hoffen wir doch lieber, dass dem Wind irgendwann die Puste ausgehen muss, bevor es für uns zu spät wird, und genießen Myrina: die meisten Lokale haben noch geöffnet, und auch die nähere Umgebung bietet sich für kleine Ausflüge an.
Mittwoch laufen wir um den Hafen bis zur Kapelle Agios Nikolaos, die dort über der Einfahrt thront; ansonsten üben wir uns in Entspannung trotz der Wettervorhersagen.
Die wollen sich auch am Donnerstag nicht beruhigen, ganz im Gegenteil: mit jedem neuen Tag, der in den Langzeitvorhersagen dazukommt nur mehr vom Gleichen. Eine so lange Meltemi-Phase so spät im Jahr, wer hätte das gedacht …
Wir erklimmen also den Burgberg und genießen die Aussicht vom Kastro, während uns dort ober der Wind um die Nase bläst; ansonsten üben wir uns im Abwarten (wofür Myrina nicht der schlechteste Ort ist).
Paralia Parthenomytos / Limnos
Am Freitag schließlich deutet sich ein kurzzeitiges Nachlassen des Nordost auf 5-6 Beaufort am nächsten Tag an, bevor es am Sonntag wieder mit 7 Beaufort wehen soll; da immer noch kein Ende des Meltemi in Sicht ist, beschließen wir dieses Fenster für die Überfahrt nach Lesvos zu nutzen, obwohl es eigentlich viel zu früh dazu ist. Wir wollten eigentlich noch einiges auf Limnos anschauen und dann zu der kleinen Insel Agios Efstratios 20 Seemeilen südlich von Limnos segeln; da kämen wir zwar am Samstag auch gut hin, aber wie je wieder weg, wenn der Starkwind kein Ende nimmt?
So legen wir gegen Mittag in Myrina ab und machen uns auf den Weg in den Golf von Moudhros, um am nächsten Morgen eine gute Absprungposition für die Überfahrt zu haben. In der Abdeckung der Insel ist der Wind sehr wechselhaft, und so dauert es bis 18 Uhr, bis wir vorm Strand von Parthenomytos den Anker werfen können – genau da, wo wir vor einem Monat auf Limnos angekommen sind. Kurz darauf beginnt die Sonne hinter den Bergen im Westen zu verschwinden, so dass wir uns mit einem Glas Wein in der Hand angemessen von Limnos verabschieden können.
Sigri / Lesvos
Samstagmorgen geht es bei Sonnenaufgang los – schließlich sind es fast 50 Seemeilen bis hinüber nach Lesvos, und wer weiß, wie es läuft …
Bedenken hinsichtlich der Geschwindigkeit erweisen sich als unbegründet: kaum verlassen wir die Abdeckung der Insel, ergreift uns der Wind mit 5 bis 6 Windstärken genau von der Seite und beschleunigt uns – nur unter Klüver – auf 6 bis 7 Knoten. Die Wellen schätzen wir auf einen bis gut zwei Meter, was ganz gut den vorhergesagten 1,3 Metern signifikanter Wellenhöhe entspricht – das geht noch, es wird nur selten mal feucht im Cockpit.
Wir freuen uns an der schnellen Fahrt; um 12 Uhr haben wir schon die Hälfte der Strecke geschafft! Bald darauf lässt der Wind aber nach, so dass uns weitere 4 Stunden später immer noch 7 Seemeilen bis zum Ziel fehlen – und die müssen wir doch tatsächlich unter Motor zurücklegen, die Abdeckung durch die türkische Küste und die Insel Lesvos bringt den Wind völlig zum Erliegen – ziemlich skurril, wenn man wenige Stunden zuvor noch mit 7,4 Knoten die Wellen runtergerauscht ist.
Gegen 17 Uhr sind wir am Ziel; wir lassen den nagelneuen Hafen von Sigri links liegen, denn dieser ist eine ziemliche Fehlkonstruktion: die Öffnung nach Nordosten garantiert ständiges Kabbelwasser bei der hier vorherrschenden Windrichtung. Statt dessen ankern wir im Schutz der Halbinsel herrlich ruhig und geschützt mit Blick auf die Ruinen der osmanischen Hafenfestung – angekommen!
Da wir nun quasi zwei Wochen zu früh auf Lesvos sind, überlegen wir am Sonntagmorgen erst mal, was mit der Zeit anzufangen ist; die naheliegende Entscheidung: wir bleiben noch einen Tag in Sigri 🙂 Das Dinghi ist schnell klargemacht, und so setzen wir über, schlendern durch den netten kleinen Ort, können sogar (Sonntag im kleinen Dorf!) noch im Minimarkt Milch kaufen und in einem netten Café perfekten italienischen Cappuccino trinken (für 2,50 € die Tasse …).
Verlässt man das Dorf gen Süden, führt die Straße an einem langen Strand entlang, von wo man einen schönen Ausblick über die Ankerbucht auf den Ort hat. Mal wieder stellen wir fest: schön hier!
Sonntagabend hat auch noch eine Taverna geöffnet, sogar mit Blick über die Ankerbucht; wir scheinen allerdings die einzigen Gäste zu sein, viel los ist wirklich nicht mehr.
Skala Eresou / Lesvos
Montag verlassen wir dann aber doch Sigri, schließlich haben wir vor, einige neue Orte an der Südküste kennenzulernen, wenn wir hier schon viel zu früh aufgeschlagen sind. Der Umsetzung dieser Pläne steht aber entgegen, dass beim unaufhörlich blasenden Meltemi ein beträchtlicher Schwell links und rechts um die Insel herum läuft und sich irgendwo im Süden trifft – nur wo, ist die Frage! Es gibt eh kaum geschützte Ankerplätze, und dann auch noch aus beiden Richtungen? Das wird schwierig!
Erster Versuch ist der Badeort Skala Eresou; dieser verfügt sogar über einen kleinen Hafen, in den zwar nur Fischerboote passen, dessen Mole aber einen gewissen Schutz verspricht. Vor Ort prüfen wir die Lage und stellen zu unserem Erstaunen fest, dass der Schwell schon eher aus Osten zu kommen scheint, obwohl wir doch noch weit im Westen der Insel sind. Eine Erklärung dafür finden wir (noch) nicht, beschweren uns aber nicht, denn zusammen mit einer kleinen Felseninsel bildet besagte Hafenmole ein geschütztes Eckchen.
Wir erkunden erst mal am Nachmittag den Ort mit dem Dinghi, kaufen frisches Obst und Gemüse in einem sehr netten, kleinen Laden und trinken einen Cappuccino (ja, warme Getränke gehen wieder!). Im Sommer liegt hier einer der Schwerpunkte des Badetourismus auf Lesvos, an der Strandfront reiht sich ein Restaurant an das andere; jetzt ist der größere Teil davon geschlossen, die Saison ist halt vorüber.
Direkt im Anschluss an den Ort wird der Strand richtig breit und erstreckt sich noch sicher einen Kilometer weit – kaum noch jemand liegt am Strand oder badet, obwohl es natürlich in der Sonne immer noch knackig warm ist. Auch weist der Ort überhaupt keine großen Hotelanlagen auf, wir sehen nur kleine Appartmentanlagen mit zwei Stockwerken (davon allerdings recht viele). Also, das hatten wir uns hässlicher vorgestellt – hier kann man durchaus Urlaub machen!
Abends landen wir nochmals im Fischerhafen an und gehen in den Ort zum Essen; trotz der nicht mehr so großen Auswahl finden wir problemlos eine Taverna nach unseren Vorstellungen und verbringen einen netten Abend dort. Skala Eresou hat uns positiv überrascht!
Apothikes / Lesvos
Dienstag lassen wir uns Zeit mit dem Aufbruch, rechnen wir doch wieder mit guter Windabdeckung und einer kurzen Distanz zur nächsten Möglichkeit, vor einem Strand zu ankern. Entsprechend mäßig seefest wird das Boot gemacht: die Vorschiffluke bleibt einen Spalt offen zur Lüftung, und darüber wird das Dinghi geworfen und nur an einem Ende festgebunden.
Kaum haben wir aber die nächste Landspitze gerundet, staunen wir nicht schlecht, als wir auf einmal Gegenwind bekommen – bei Nordostwind und Südostkurs nicht unbedingt zu erwarten. Okay, dann kreuzen wir eben auf; aber innerhalb der nächsten Stunde nimmt der Wind immer mehr zu, und die beim Aufbruch noch friedliche See wirft Zweimeterwellen auf. Jetzt wissen wir, wo der Ostschwell in Skala Eresou herkam! Offenbar pfeift der Meltemi nicht nur ungehindert durch den Kolpos Kallonis (die westliche der zwei großen Einbuchtungen auf Lesvos), sondern wird dadurch sogar beschleunigt und am Ausgang quasi ‘um die Ecke’ geschickt – das macht unseren Ostsüdost, und die 30 Knoten, die uns alsbald auf die Nase wehen! Es wird reichlich feucht an Bord, und als die Klüverschot bei einer Wende das Dinghi hochreißt und wild durch die Gegend schlagen lässt (wobei ein Paddel wie ein Streichholz abknickt) und sich ein Schwall Seewasser durch die so freigelegte Vorschiffluke ergießt, sinkt die allgemeine Zufriedenheit an Bord erheblich. Die beiden in Frage kommenden Ankerplätze sind unter solchen Bedingungen völlig inakzeptabel und bleiben links liegen, wir müssen also weiter und uns in den Kolpos retten, um einen ruhigen Ankerplatz zu finden.
Kaum zwei Stunden später fällt der Anker vor dem kleinen Ort Apothikes, bei 13 statt 30 Knoten Wind und einem Dezimeter Welle – alles gut, aber der ganze Ärger wäre durch bessere Vorbereitung vermeidbar gewesen. Im Ort gibt es zwei gut beurteilte Tavernas, aber beide sind schon geschlossen, also verzichten wir auf einen Landgang und werfen den Bordgrill an. Mit Einbruch der Dunkelheit sieht man auch, dass praktisch kein Haus mehr erleuchtet ist – hier sind die (nicht vorhandenen) Bürgersteige schon für den Winter hochgeklappt.
Plomari / Lesvos
Nach einer ruhigen Nacht vor Anker machen wir uns wieder auf den Weg; Ziel ist der Hafen von Plomari, knapp 20 Seemeilen entlang der Südküste. Natürlich weht nach wie vor der Nordost, was südlich der Insel wieder zu abwechslungsreichen Windverhältnissen führt: zu Anfang schiebt uns ein kräftiger Rückenwind aus dem Kolpos, dann können wir noch eine Weile mit wechselhaftem Halbwind segeln; als wir aber hinter die hohen Berge vor Plomari kommen, ist es schlagartig vorbei mit jeglichem Wind. Kein Wind bedeutet aber nicht kein Schwell, und der Hafen von Plomari ist berühmt für seine Schwellträchtigkeit, ist seine Öffnung doch riesengroß und nach Osten ausgerichtet. Wir sind also gespannt, was uns erwartet …
Tatsächlich läuft ein Südostschwell von 20-30 cm in den Hafen; wir gehen mit dem Heck an die westliche Pier, so dass der Bug zur Hafenöffnung zeigt, und bringen die großen Ruckdämpfer aus Federstahl aus – so lässt es sich halbwegs aushalten, wir setzen aber darauf, dass es zum Abend noch besser wird.
Das wird es tatsächlich, so dass wir uns nach einem kleinen Stadtrundgang beruhigt zum Abendessen begeben. Die ‘Gesellschaft der Freunde des Benjamin von Lesbos‘, eines Philosophen des 18./19. Jahrhunderts, betreibt ein schönes Restaurant direkt am Hafen, in dem auch Fremde willkommen sind (wenn sie denn den Eingang finden). Von hier genießen wir bei einem sehr leckeren und extrem günstigen Abendessen einen spektakulären Blick über den Hafen und den Abendhimmel über Chios im Südwesten – einer der Gründe, warum wir nach Plomari wollten.
Ab Mitternacht ist es leider vorbei mit der Nachtruhe; der immer noch nicht viel höhere Schwell hat etwas die Richtung geändert und versorgt ständig eine im Hafenbecken umlaufende, stehende Welle mit immer neuer Energie – was für eine Fehlkonstruktion ist dieser Hafen! Aber nachdem wir (und unsere armen Festmacher) nun schon die Nacht überstanden haben, wollen wir auch noch unseren zweiten Besuchsgrund realisieren: Plomari ist die Heimatstadt des griechischen Nationalgetränks Ouzo!
Neben der ganz großen, international vertreibenden Brennerei gibt es hier auch noch den in 6. Generation betriebenen Familienbetrieb Varvagiannis, den man besichtigen kann. Das läuft folgendermaßen ab: man läuft etwas orientierungslos um das Gebäude, bis man an einem offenen Seiteneingang der Produktionshalle vorbeikommt, hinter der man Flaschen durch eine Abfüllanlage laufen sieht. Von den Mitarbeitern wird man nicht etwa verscheucht, sondern hereingebeten, und wer gerade Zeit hat und genug Englisch spricht, unterbricht seine Arbeit und führt die Gäste herum! Wir bekommen alles über Geschichte und Produktion des Ouzo erklärt (und auch, dass man diesen auf gar keinen Fall wie in Deutschland üblich tiefgekühlt herunterkippen sollte) und können uns zum Abschluss durch die 4 Sorten probieren, die das Unternehmen herstellt – bis zu 48% hat das Spitzenprodukt, und das um 11 am Vormittag … na, es ist nie zu früh für Ouzo!
So gestärkt verlassen wir gegen Mittag den Hafen – mit einem lachenden und einem weinenden Auge, finden wir doch die kleine Stadt äußerst einladend, können aber das elende Geschaukel keine Minute mehr ertragen.
Tsilia / Lesvos
Wir laufen den nächstgelegenen Ankerplatz an, unsere Lieblingsbucht Tsilia in 8 Seemeilen Entfernung; nachdem wir aus der Abdeckung der Plomari-Berge heraus sind, dürfen wir den Dauer-Meltemi wieder in der Variante ‘Gegenwind’ erleben.
Zum Kreuzen fehlt uns nach der vermurksten Nacht die Energie, wir motoren die paar verbleibenden Meilen dicht unter Land gegenan und sind froh, als der Anker gefallen ist und der Motor schweigt – Erholung pur! Zunächst pfeift noch der Wind, aber nach 17 Uhr beruhigt sich auch der, und zum Sonnenuntergang ist es ziemlich still und ruhig, nur der Grill knackt mal leise vor sich hin – wieviel besser doch eine gute Ankerbucht gegenüber einem schlechten Hafen ist!
Skala Loutron / Lesvos
Am Freitagmorgen weht der Meltemi zwar draußen in der Ägäis weiter, aber die Richtung ist etwas nördlicher geworden; unter solchen Bedingungen kommt der Wind nicht mehr östlich um und über die Insel, vielmehr beruhigt es sich zwischen Lesvos und Chios deutlich, manchmal stellen sich sogar westliche Winde ein. So soll es auch am Wochenende bleiben; wären wir Anfang der Woche nach Chios rübergefahren, so kämen wir nun ganz gut zurück, aber wer hätte sich darauf verlassen wollen? Und nun ist es auch zu spät dafür – wir können also unsere letzten Tage dieser Reise nur in dieser Ecke abhängen.
Dazu setzen wir den Kurs in die Öffnung des Kolpos Geras; natürlich mit Gegenwind, aber angenehmer Stärke, so dass wir bei sanfter Welle schön aufkreuzen können. Unser Ziel ist der Anleger von Skala Loutron; auch hier waren wir natürlich schon zweimal, aber immerhin seit Mai ’23 nicht mehr.
Man liegt sehr nett und kostenlos, es gibt sogar Strom und Wasser gratis; zwei Tavernen hat der winzige Ort, und beide sind sogar noch geöffnet! Wir verbummeln den Nachmittag, essen direkt am Hafen zu Abend und beschließen, auch den folgenden Tag noch hier zu bleiben.
In einem Anfall von Aktivitätsdrang steigen wir gleich am Vormittag, solange die Sonne noch nicht so brennt, zur Kapelle Panagia Apsili auf; von hier hat man einen tollen Blick über die Bucht von Skala Loutron und die ganze Umgebung. Danach reicht die Energie sogar noch für ein paar kleinere Bootsarbeiten, bevor wir uns auf der Terrasse gleich nebenan zum Kaffee niederlassen.
Zum Sonnenuntergang steigen wir bei einer kleinen Wanderung durch alte Olivenhaine zum zu unserem Anleger gehörenden Bergdorf Loutra auf. Auch hier geht es lebendig zu – ganz offenbar gibt es in dieser Gegend noch mehr Einheimische als Touristen, so dass die Dörfer auch im Winter nicht aussterben. Wir nehmen all unseren Mut (und unsere Griechischkenntnisse) zusammen und kehren in einer richtigen Ouzeri ein: keine Speisekarte, kein Englisch. Wir einigen uns darauf, dass der Wirt einfach einige kleine Teller mit diversen Gerichten aufträgt, bis wir abwinken; und alles was kommt ist köstlich: Salat, Brotaufstriche wie Tsatsiki und Fava, in roter Soße geschmorte Kalamari, weiße Bohnen in Olivenöl, frische Fische und Kalamari, in dünnem Backteig knusprig frittiert, dazu duftiger Wein aus Limnos. Beim Bezahlen dann die große Überraschung (neben dem lächerlichen Betrag): die Wirtin, welche die ganze Zeit in der Küche verborgen war, kann zwar auch kein Englisch, aber fließend Deutsch, weil sie mal in Duisburg gearbeitet hat … die Welt ist doch klein. Nach dieser geglückten Mutprobe wandern wir, vom Wein beschwingt, ganz locker durch den nunmehr stockdunklen Olivenhain wieder zu Tale …
Perama / Lesvos
Zum Abschluss wollen wir noch den Ort Perama gleich gegenüber besuchen, der uns im Juni gut gefallen hat – wenn auch nicht die Salzwasserdusche, die wir seinerzeit dort an der überspülten Pier bekommen haben; da das Wochenende ja ruhigeres Wetter verspricht, sind wir in dieser Hinsicht aber guter Dinge. So legen wir Sonntagmorgen in Skala Loutron ab und motoren eine stolze Seemeile auf die andere Seite der Wasserstraße, welche den Kolpos Geras mit der offenen See verbindet. Dort angekommen suchen wir das Hafenbüro auf, um uns anzumelden – und bekommen mitgeteilt, dass wir nicht bleiben können, da die ganze Pier in der kommenden Nacht von einem großen Frachter benötigt wird, der dort Ladung löschen will! Auf unseren Vorschlag, dass es dann doch genügen würde, wenn wir nach dem Abendessen wieder verschwinden, wird mal wieder griechisch-lösungsorientiert reagiert: ja, kein Problem, solange ihr um Mitternacht weg seid; wenn der Frachter morgen wieder weg ist, könnt ihr ja zurückkommen.
So hängen wir also den ganzen Tag in Perama ab, welches über eine gute Konditorei und etliche nette Cafés verfügt 🙂 Am Abend laufen wir ein Stück aus dem Ort heraus, essen in einem Fischlokal direkt am Wasser gut zu Abend, und nach unserer Rückkehr an Bord legen wir eben wieder ab und motoren die volle Seemeile in die Bucht von Loutra zurück. Statt anzulegen ankern wir; der Ankergrund ist perfekt hier, auch in finsterer Nacht kann man einfach irgendwo den Anker fallen lassen und sich beruhigt in die Koje legen.
Am Montagmorgen erwarten wir, den Frachter gegenüber an der Pier liegen zu sehen – aber da ist nichts! Etwas unsicher was zu tun ist, fahren wir wieder herüber und suchen erneut das Büro der Küstenwache auf; doch, der Frachter sei dagewesen und schon wieder weg, wir können bleiben. Die Geschichte glauben wir zwar nicht, denn laut AIS ist er nicht mal in der Nähe der Insel gewesen, aber egal – wahrscheinlich wusste man im Hafenbüro auch nichts von der Planänderung der Reederei und wollte nun nicht zugeben, dass man uns umsonst weggeschickt hatte.
So nehmen wir also den unterbrochenen Aufenthalt in Perama wieder auf und erkunden ein wenig die Umgebung: etwas nördlich steht eine Windmühle direkt am Wasser; praktischerweise kommt hier der Wind bedingt durch die Landschaftsform ausschließlich aus zwei Richtungen, entweder raus aus dem Kolpos (meistens) oder hinein.
Heute ist ein hoher griechischer Nationalfeiertag, der ‘Ochi-Tag‘, an dem man des Neins Griechenlands zu Mussolinis Ultimatum von 1940 gedenkt; kein Grund allerdings, dass die Konditorei, die Cafés und Restaurants, und sogar die Minimärkte geschlossen blieben. Die Einheimischen sind in Ausgehlaune, man sieht viele Menschen auf den Straßen und in den Lokalen. Auch wir feiern den letzten Abend unterwegs mit einem guten Essen – morgen soll es nämlich zurück nach Mytilini gehen.
Marina Mytilini / Lesvos
Ab Dienstagmittag soll der Nordost schon wieder zulegen, also verlassen wir Perama recht früh; die ersten Seemeilen können wir uns schön gen Süden aus dem Kolpos blasen lassen, aber kaum dass wir die Nase um die Ecke gestreckt haben, bekommen wir Bescheid: die Windstärke erreicht zwar noch kaum die 5 Beaufort, kommt aber genau auf die Nase, und die Welle, die sich in der Straße von Mytilini schon aufgebaut hat, ist beachtlich hoch und vor allem kurz: alle zwei bis drei Sekunden stoppt uns eine Wasserwand. Drei Stunden lang können wir Mytilini schon sehen, kommen aber kaum näher, da wir regelmäßig unter drei Knoten über Grund fallen. Für den Nachmittag ist eine weitere Windzunahme angesagt, und wir wollen nicht bei 25 Knoten Seitenwind in der engen Marina manövrieren, also sind wir ungeduldig und froh, als wir uns gegen 14 Uhr endlich in den Hafen gekämpft haben. Der starke Nordost, der die letzten drei Wochen unseren Törn bestimmt hat, zeigt halt bis zum Schluss, wer hier das Sagen hat – ohne den wären wir ja auch erst Ende der Woche eingelaufen, aber Mittwoch und Donnerstag soll es ja noch viel windiger werden. Knapp 500 Seemeilen sind wir in den letzten gut sechseinhalb Wochen unterwegs gewesen, etwas weniger als im Frühjahr, aber das war auch so gewollt; nur an wenigen Tagen hat nicht von früh bis spät die Sonne geschienen, und die Regentropfen konnte man abzählen – insgesamt können wir uns nicht beschweren, nur vom Dauer-Meltemi der letzten Wochen fühlen wir uns etwas fremdbestimmt.
Natürlich finden wir auch für den ungewollt langen Aufenthalt etwas zu tun: die Einwinterung (Aufklaren, Wäsche waschen, Segel abschlagen, Papiere abgeben) nimmt zwar nur etwa zwei Tage in Anspruch, aber es gibt natürlich auch immer noch was zu reparieren: am Heckspiegel zeigen sich Rostspuren an der Anbringung von Windsteuerung und Badeplattform, und auch im Mast gibt es etwas an der Verkabelung des Windgebers zu reparieren; außerdem tropft das Überdruckventil am Warmwasserboiler. da muss der ganze Wassertank ausgebaut werden.
Vier Tage vergehen so mit Bootsarbeiten, jeden Abend gönnen wir uns aber ein Abendessen in der Stadt – in Mytilini braucht man wohl Monate, bis man überall mal gewesen ist, in der Altstadt reiht sich ein Lokal an das andere. Am Sonntag endlich gönnen wir uns einen ganzen freien Tag: wir frühstücken in der Stadt und gehen von dort zunächst ins Kastro und dann ins archäologische Museum.
Die Festungsanlage in ihrer heutigen Form ist mit einer Fläche von ca. 20 Hektar eine der größten Festungsanlagen im ganzen Mittelmeerraum; man kann eine byzantinische Bauphase aus dem 6. Jahrhundert, eine venezianische aus dem Mittelalter und eine ottomanische aus der Zeit der türkischen Besatzung unterscheiden; aber natürlich befand sich auf dem Hügel (der bis zum Mittelalter noch eine Insel war, ein Kanal verband die Nord- mit der Südbucht) schon in der Antike eine Akropolis und diverse Tempel.
Seit Jahrzehnten laufen intensive Ausgrabungs- und Erhaltungsarbeiten, aber man versucht auch, den letzten Zustand der Befestigungen wieder herzustellen, wo sie in der Neuzeit durch Erdbeben oder Materialwiederverwendung zerstört worden sind. Uns gefällt das Resultat, die schon fertiggestellten Mauerabschnitte geben einem das Gefühl, in der Zeit zurückreisen zu können.
Auch das archäologische Museum ist interessant (wenn auch nicht so groß): wichtigste Ausstellungsstücke sind die praktisch vollständig erhaltenen Mosaikböden mehrerer antiker Villen. Einen davon hat man nur Zentimeter unter einem modernen Straßenbelag gefunden … hier kann man wirklich keinen Spaten in den Boden stechen, ohne auf die Vergangenheit zu stoßen. Die kunsthandwerkliche Ausführung ist beeindruckend, und die Farben leuchten auch nach so langer Zeit noch!
Am letzten Tag stehen nochmal Bootsarbeiten an: eigentlich sollte nur der Wassertank geleert und gesäubert werden, aber dabei zeigt sich eine Undichtigkeit am Heizstab des Warmwasserbereiters – Wasser tropft aus den elektrischen Anschlüssen, das ist suboptimal. Also bauen wir noch ‘eben’ den ganzen Plunder aus, säubern alles und stellen die Teile lose in die Bilge, erst mit einem neuen Heizstab kann das wieder in Betrieb genommen werden.
Montagabend feiern wir den Abschluss des Herbsttörns nochmal in der Stadt mit einem schönen Abendessen: knapp 500 Seemeilen haben wir zurückgelegt, etwas weniger als im Frühjahr, aber das war ja auch beabsichtigt; geregnet hat es so gut wie gar nicht, die Temperaturen waren perfekt; nur Wind gab es erst zu wenig und dann zu viel, aber das ist ja normal … wir hoffen jedenfalls, bald wieder hier zu sein!