Am Freitag den 15. November soll der Wind soweit nachlassen, dass wir von Dénia aus der Küste weiter Richtung Nordwesten folgen können – heißt es. Praktisch wehen uns noch frische 6 Beaufort genau ins Gesicht, als wir den Hafen verlassen; wir segeln also mal wieder sehr feucht und mit beträchtlicher Lage hoch am Wind. Schnell vorwärts kommen wir dabei natürlich nicht gerade, so dass wir nach 9 Stunden mit einsetzender Dämmerung erst mal einen Ankerstopp für die Nacht vor
Cullera
einlegen müssen. Die Küste bieten guten Schutz vorm immer noch kräftigen Westwind, wozu auch die gewaltigen Hotelbauten direkt am Strand beitragen. Der Ankergrund ist hervorragend und die Wassertiefe perfekt, wir verbringen daher eine ruhige Nacht etwa 100 Meter vom Strand entfernt. Erst mit dem Licht des neuen Tages können wir die ganze Pracht der Betonfront von Cullera bewundern – die Burg aus dem 12. Jahrhundert fällt dagegen kaum noch auf.
Mit deutlich weniger Wind machen wir uns am Samstag gleich wieder auf den Weg; die vorbeiziehende Küste trägt den schönen Namen Costa del Azahar, die Küste der Orangenblüte. Nach insgesamt gut 50 Seemeilen ab Dénia erreichen wir am Nachmittag schließlich die Hauptstadt der Region
València
Das Anlegemanöver in der (2007 für den 32. America’s Cup erbauten) Marina Real Juan Carlos I gerät zu einem kleinen Abenteuer: das Ruder verfängt sich in einer der zahlreichen Muringleinen und kommt geraume Zeit nicht mehr frei, während wir mitten in der Boxengasse versuchen, wieder Kontrolle über das Boot zu bekommen; endlich in der Box angekommen kommt dann die Leine auch noch in die Schraube – ein kurzer, aber erfrischender Tauchgang ist die Folge. Später erkennen wir, dass sich die Muringleinen der uns zugewiesenen Box mit denjenigen der Nachbarbox überkreuzen – kaum möglich, da nicht reinzufahren.
Am Sonntag ist wieder stürmisches und regnerisches Wetter angesagt, wir checken also gleich für drei Nächte ein, um am Montag noch in Ruhe València anschauen zu können. Der Weg ins historische Stadtzentrum ist recht weit, aber mit dem Bordfahrrad in einer halben Stunde zu bewältigen.
Die Sache mit den Orangen nimmt man in der mit etwa 800.000 Einwohnern drittgrößten Stadt Spaniens recht ernst: schon entlang der – mit guten Fahrradwegen versehenen – Einfallstraßen stehen überall Orangenbäume, die um diese Zeit zwar keine Blüten mehr, aber dafür prächtig orange leuchtende Früchte aufweisen; man kann also tatsächlich vom Fahrrad aus die Orangen vom Baum pflücken 🙂
Damit erschöpfen sich die Sehenswürdigkeiten der Stadt aber keineswegs: wir bewundern die prachtvollen Bauten wie die alte Post und das Rathaus, die Seidenbörse, die Kathedrale und den Mercado Central – sowohl das Gebäude als auch die angebotenen Waren, auf einer gewaltigen Fläche alle erdenklichen Lebensmittel in einer Auswahl und Qualität, von der wir zu Hause nur träumen können …
València weist die – hierzulande ja quasi üblichen – Epochen der römischen, westgotischen, maurischen und schließlich christlichen Herrschaft auf, die alle ihre Spuren hinterlassen haben. In der Nähe der heutigen Kathedrale, an der Kreuzung der römischen Hauptstraßen, besuchen wir eine archäologische Ausgrabungsstätte: unter dem gegenwärtigen Straßenpflaster hat man in verschiedenen Tiefen die ineinander gebauten Überreste von römischen Tempeln und Thermen, der westgotischen Basilika sowie diversen Brunnen und Gräbern gefunden.
Es gibt aber auch moderne Architektur zu bewundern: nach verheerenden Überschwemmungen in den 1950er Jahren hat man den die Altstadt umschließenden Fluss Turia an der Stadt vorbeigeleitet und das nun trockengefallene alte Flussbett in eine riesige Parkanlage verwandelt, in der unter anderem auch das neue Opernhaus Palau de les Arts Reina Sofía einen Platz gefunden hat.
Alles in allem empfinden wir Valéncia als gelungene Mischung aus Geschichte und Moderne, eine einladende Stadt, in der sich sicher leben lässt – allein schon wegen der immer sichergestellten Orangenversorgung 🙂
Burriana
Dienstagmorgen müssen wir Valéncia verlassen – jedenfalls wenn wir den kurzen Augenblick brauchbaren Segelwinds nicht verpassen wollen, der sich zwischen Sturmtief und Totenflaute zu behaupten sucht. Mehr als 8 bis 10 Knoten sind es dann auch nicht, aber unter Gennaker lässt sich damit doch ganz gut Fahrt machen. Die Sonne scheint auch kräftig vom blauen Himmel, gleich ist wieder T-Shirt-Wetter angesagt, und so wird es einer der besseren Segeltage in diesem Monat, bis wir nach 28 Seemeilen unser Ziel erreichen, den Hafen von Burriana.
Der eigentliche Ort liegt etwa zwei Kilometer vom Hafen entfernt, aber da wir nach València die Fahrräder erst gar nicht verstaut haben, ist das kein Problem. Viel zu sehen gibt es aber nicht: ein hübscher Platz vor Rathaus und Kirche, drumherum etwas Fußgängerzone bis zum hiesigen Mercado, und das war es auch schon; in der Umgebung quadratkilometerweise Zitrusfruchtplantagen. Dass wir hier dennoch volle fünf Tage verweilen, hat ganz andere Gründe: zunächst ist für das kommende Wochenende der Durchzug eines Orkantiefs mit bis zu 60 Knoten Wind angesagt, was es angeraten erscheinen lässt, sich in einem sicheren Hafen zu verstecken; und dann ist die Marina Burriananova mit einem Übernachtungspreis von 13 Euro in der Nebensaison wohl der mit Abstand günstigste Hafen im Umkreis von 1000 Seemeilen (oder noch viel mehr), so dass man dafür kaum einen besseren Ort finden kann als diesen (warum das so ist, finden wir nicht heraus: wir haben schon an weniger attraktiven Orten das Dreifache bezahlt; offenbar haben sich tausende Yachttouristen verschworen, an Burriana einfach vorbeizufahren). Wir sitzen also den Sturm aus und warten darauf, Montag weiterfahren zu können …
Playa de Torrenostra
Tatsächlich zeigt sich das Wetter am Montagmorgen freundlich: die Sonne scheint, und ein angenehmer Wind erklärt sich bereit, uns anzuschieben. Ganz klar: mal wieder Gennakerwetter. Gleich nach Verlassen des Hafens von Burriana füllt sich dann auch das bunte Gute-Laune-Segel, und wir machen gute Fahrt … aber die Freude währt nicht lange: nach kaum einer Stunde ertönt ein Knall, und eine Erschütterung fährt durch das Boot. Der erste Blick geht zum Bug, ob wir wohl mit Treibgut kollidiert sind, aber es ist die falsche Richtung, denn gleich darauf gleitet der riesengroße Gennaker von oben herab aufs Wasser – und nun ist größte Eile angesagt, denn wenn sich das empfindliche Tuch erst unter den Rumpf gezogen hat, ist es mit Sicherheit zerrissen. Glücklicherweise gelingt das panische Bergemanöver, und das ganze Deck ist bald von nassem, bunten Tuch bedeckt; wie eine Inspektion zeigt, ist der Schäkel des Umlenkblocks, durch den das Fall am Masttopp läuft, einfach durchgebrochen. Es handelt sich um einen einfachen, gestanzten Schäkel – die Investition von 50 Cent mehr bei der Herstellung konnte man bei einem 50-Euro-Block ja auch nicht erwarten … soweit zur Zuverlässigkeit der Arbeitslast-Angaben von Bootsteilen.
Nach diesem Abenteuer ist es aussichtslos, das angestrebte Tagesziel noch zu erreichen; wir ankern also auf gut halber Strecke zum Ebro-Delta vorm Strand von Torrenostra, einem kleinen Ort mit flachem Motorboothafen und einigen Hotels dahinter. Leider steht vom stürmischen Wetter des Wochenendes noch ein deutlicher Schwell, so dass die ‘Orion’ mal wieder übel schaukelt; den einzigen Trost an diesem wenig gelungenen Tag bietet der unbeschreibliche Abendhimmel kurz nach Sonnenuntergang …
Vinaròs
Am nächsten Tag geht es weiter in Richtung des Ebro-Deltas; der Wind weht schwächer, doch mit dem Gennaker könnte man durchaus noch segeln … ach ja, da war ja was … also röhrt auch noch der Motor, während wir bei schönstem Wetter die Küste entlangfahren. Nach gut 10 Seemeilen passieren wir den malerisch gelegenen Fischerort Peñíscola; dessen Altstadt liegt spektakulär auf einem ins Meer ragenden Felsen, gekrönt von einer Templerburg aus dem 13. Jahrhundert. Der Ort zieht unzählige Touristen an uns ist tatsächlich nach der Alhambra von Granada die zweitmeistbesuchte Attraktion Spaniens – und hat mit dieser gemeinsam, dass wir sie nicht zu sehen bekommen, denn der Hafen steht Besuchern nicht offen, und zum längeren Verweilen vor Anker lädt die instabile Wetterlage leider nicht ein.
Wir fahren statt dessen weiter bis Vinaròs, dem letzten Hafen vorm Ebro-Delta; hier haben wir endlich die Möglichkeit, zunächst den immer noch salzwassertriefenden Gennaker auf dem Steg auszulegen, mit Süßwasser zu spülen und halbwegs zu trocknen, und dann auch noch den Mast zu ersteigen und den Block neu anzubringen. Schließlich bleibt auch noch Zeit für einen kurzen Rundgang durch den Ort, der nicht spektakulär ist, aber ganz freundlich wirkt; bemerkenswertestes Bauwerk ist die Kirche aus dem 16. Jahrhundert, welche den kompakten Namen Iglesia de Nuestra Señora de la Asunción trägt: noch als Wehrkirche mit beeindruckend dicken Mauern erbaut und einer Burg ähnlicher als einer Kirche, wurde ein Jahrhundert später ein barockes Portal vorgesetzt, welches in heftigem Kontrast zum Rest des Gebäudes steht. Nun ja, wem’s gefällt …
Cabo Roig
Mittwoch ist es dann endlich soweit, wir wollen die Mündung des Ebro passieren – und das ist nicht so einfach, wie es vielleicht scheinen mag. Der zweitlängste Fluss der iberischen Halbinsel hat ein sich über 40 Seemeilen erstreckendes Delta aus Schwemmland aufgespült, welches weit ins Meer hinausragt und den passierenden Segler mit zahlreichen Sandbänken, Riffen und stark veränderlichen Wassertiefen erfreut – aber das ist ja nichts, was einen Wattenseeanwohner erschrecken könnte, nur die Anzahl der Tageslichtstunden ist einfach etwas knapp für die Entfernung. Wir brechen also früh auf, versuchen zunächst den ja glücklicherweise wieder einsatzbereiten Gennaker einzusetzen, aber der Wind erweist sich als zu launisch in Richtung und Stärke, so dass doch wieder der Motor ran muss. Wenigstens bleibt uns aber Gegenwind erspart, so dass wir nach knapp 10 Stunden beim letzten Licht vorm Cabo Roig im Golf von L’Ampolla den Anker fallen lassen können.
Wir haben damit Katalonien, die nordöstlichste Region Spaniens, erreicht; von hier an wird die Küste als Costa Daurada, die goldene Küste, bezeichnet. Tatsächlich leuchten die Felsen vor unserem Ankerplatz rot-golden in der Sonne des nächsten Morgens; auch ansonsten gefällt es uns hier, auf den Klippen wachsen üppig grüne Bäume, die von tausenden zwitschernder Vögel bewohnt werden – da kann man über das Hotel direkt überm Cabo auch mal hinwegsehen. Seinen größten Vorteil hat der Ankerplatz aber dem südlich liegenden Ebro-Delta zu verdanken: es bietet Schutz vorm ewigen Schwell, der ansonsten das Ankern an diesen Küsten bislang zu keinem sehr großen Vergnügen gemacht hat. Das finden wir so toll, dass wir beschließen, hier gleich einen Tag zu verweilen – das Wetter spielt auch mit, die Sonne scheint, und am 100 entfernten Strand traut sich sogar jemand ins 16 Grad kalte Wasser …
Tarragona
Freitag geht es dann aber weiter, und zwar gleich ein ganzes Stück – der sich anschließende Küstenstreifen bietet zwar noch einige attraktive Ankerplätze, von denen aber keiner Schutz vor dem auf die Küste zulaufenden Schwell bietet; die Windverhältnisse sind dabei sehr abwechslungsreich, zwischen 2 und 20 Knoten ist alles dabei. Erst ganz kurz vor Tarragona ragt das Cabo de Salou nach Süden hervor; da wir das Liegegeld für die erste Nacht sparen wollen und es hinter der Landzunge ganz still ist, beschließen wir dort noch einmal zu ankern, bevor wir in den direkt gegenüberliegenden Hafen fahren. Zwei Stunden später ändern sich aber auf einmal die Bedingungen, und langer Schwell läuft quer zum Boot um die Ecke – was dann auch für den Rest der sehr unruhigen Nacht so bleibt.
Nach dem Einklarieren in der Marina am nächsten Vormittag machen wir uns gleich auf den Weg in die Stadt. Tarragona war nach seiner Vereinnahmung durch die Römer 218 v. Chr. unter dem Namen Tarraco Hauptstadt der römischen Provinz Hispania citerior; aus dieser Periode finden sich zahlreiche Überreste (Amphitheater, Circus, Forum Romanum), die zusammen zum Weltkulturerbe erklärt worden sind – zur nicht ungetrübten Freude der Stadtentwickler, denn wo immer man die Baggerschaufel in den Boden senkt dauert es nicht lange bis zum Baustopp …
Wir finden es aber spannend, überall in tiefe Gruben mit alten Mauern schauen zu können – und vor allem, darin die Kontinuität zwischen der Antike und der Gegenwart zu erkennen, denn nichts, so wird uns klar, ist heute zufällig da wo es ist: die Hauptachse der Altstadt ist exakt die der römischen Tempelanlage; die Kathedrale steht genau dort, wo der einst der Tempel zu Ehren Jupiters stand; der große, lange Platz vor dem Rathaus entspricht der Fläche des römischen Circus, und wo heute an seinem Ende das Rathaus steht, haben die Wagenlenker ihre Gespanne um die jähe Kurve steuern müssen – lebendige Geschichte!
Aber auch die neueren Aspekte der Stadt sind interessant; so es gibt eine schnurgerade durch die Stadt verlaufende Einkaufsstraße, die Rambla, die sehr großzügig angelegt ist und zum Flanieren einlädt; im breiten Fußgängerbereich in der Mitte der Allee wurde gerade der Weihnachtsmarkt aufgebaut, wobei die Lichterketten mit den Schneeflocken, Sternen und Rentieren mit großer Selbstverständlichkeit in die mit leuchtenden Früchten behängten Orangenbäume gehängt werden – für uns ein ganz schön merkwürdiger Anblick!
Was uns an dieser kilometerlangen Straße aber am meisten fasziniert hat ist ihr Ende: man stelle sich das vor, man spaziert eine halbe Stunde auf dieser breiten, schönen Allee zwischen Palmen und Orangenbäumen immer leicht bergauf, und auf einmal steht man vor einem Platz mit einem Denkmal und einem kunstvollen schmiedeeisernen Geländer dahinter und dahinter …. schaut man von einer 40 Meter hohen, senkrecht abfallenden Klippe direkt aufs türkisfarbene Mittelmeer, auf dem ganz klein die weißen Segel der Yachten vorbeiziehen! Balcón del Mediterráneo nennt sich das treffenderweise und ist die ungewöhnlichste, bemerkenswerteste und wunderschönste Integration eines gewaltigen Naturpanoramas ins Herz einer großen Stadt, die man sich nur vorstellen kann – wirklich toll!
Wir verbringen zwei Tage hier, bestaunen die köstlichen Auslagen im Mercat Central, probieren uns durch 30 Sorten der neuen Olivenölernte auf der an diesem Wochenende stattfindenden Messe Fira de l’Oli (und kaufen natürlich auch eine große Flasche der Delikatesse zum kleinen Preis – hier ist so etwas eben normale Ernährungsgrundlage) und essen im Fischerviertel El Serrallo direkt am Hafen köstliche Paella de Marisco und Fideuà.
Für die zwei Nächte zahlen wir gut 65 € Liegegeld (und das ist der günstige Nebensaisonpreis) – und kommen doch zu dem Schluss, dass es ein Fehler gewesen wäre, Tarragona auszulassen!
Roda de Barà
Am Montag warten wir mit dem Ablegen noch bis nach 12 Uhr, denn dann soll etwas Wind aufkommen; dem ist auch so, aber bei 2 bis 3 Meter Schwell genügen 8 Knoten Wind einfach nicht, das Boot und den Gennaker zu stabilisieren, so dass wir den Versuch zu segeln aufgeben und die wenigstens mit 12 Seemeilen nicht gerade lange Strecke bis Roda de Barà motoren müssen (wild rollend, versteht sich). Die kleine Marina haben wir ausgewählt, weil sie uns zu bezahlbaren Preisen ermöglicht, ein paar Tage zu verweilen – um das nächste Sturmtief durchziehen zu lassen, was sonst …
Am Dienstagvormittag herrscht aber noch die Ruhe vor dem Sturm, die letzten Sonnenstrahlen kämpfen sich durch die Wolken, und wir nutzen die Gelegenheit, um die größte (einzige?) Sehenswürdigkeit des Ortes anzuschauen, den Arc de Barà, einen römischen Triumphbogen aus dem Jahre 13 v. Chr., der damals auf der Via Augusta, der wichtigsten römischen Fernstraße, stand – und heute mitten auf einer modernen spanischen Schnellstraße, deren Fahrspuren sich dazu teilen. Vor dem Bogen steht zwar eine Infotafel, aber wer glaubt, dass die Straßenplaner eine Möglichkeit vorgesehen hätten, diese (und den Bogen) ohne Einsatz seines Lebens fußläufig zu erreichen, der kennt Spanien nicht 😉
Mittwoch geht es dann richtig zur Sache – bis zu 8 Beaufort messen wir am Liegeplatz in der Marina, und unangenehmer Schwell lässt die ‘Orion’ heftig in die Landleinen rucken. Im Unterschied zu allen Stürmen der letzten 5 Wochen kommt dieser nicht aus Nordwest (Tramontana), sondern aus Nordost; typisch für diesen Levante sind heftige und andauernde Regenfälle – und tatsächlich schüttet es 36 Stunden lang wie aus Kübeln.
Vallcarca
Erst am Freitag hat sich das Wetter soweit beruhigt, dass wir weiterfahren können; wie üblich gibt es nach dem Sturm nun wieder gar keinen Wind mehr, so dass wir unter Motor die Marina von Roda de Barà verlassen. Ab Mittag können wir sogar noch für zwei Stunden den Gennaker setzen, statt der vorhergesagten 3 Knoten wehen doch auch mal 8 bis 9 …
Als Übernachtungsstopp haben wir uns Vallcarca ausgesucht; dabei handelt es sich um eine (nicht zuletzt wegen verheerender Umweltverschmutzung) aufgegebene Siedlung um ein altes Zementwerk, gelegen direkt am Naturschutzgebiet des Garraf-Gebirges – eine absurde Kombination und sicher keine landschaftliche Schönheit. Es gibt jedoch eine ausgedehnte, L-förmige Mole, deren Öffnung nach Westen zeigt und die ruhiges Ankern beim aus Nordost anlaufenden Schwell verspricht – doch wie so häufig trügt die Hoffnung, die Wellen werden an der gegenüberliegenden Felsenküste reflektiert und laufen doch in den kleinen Hafen. Aber was tut man sich nicht alles an, um die knapp 40 € Liegegeld des nächstgelegenen Hafens zu sparen …
El Masnou
Am Samstagmorgen hat sich der Schwell gelegt, aber dennoch lädt der Industriehafen nicht zum Verweilen ein; vielmehr zieht es uns auf See, um die letzte Etappe von knapp 30 Seemeilen zum Endpunkt der diesjährigen Reise hinter uns zu bringen. Wind gibt es erst mal praktisch gar keinen, so dass wir zunächst unter Motor fahren; das Wetter ist dabei prächtig, und schon bald können wir die Hafenanlagen von Barcelona sehen. Vor der Hafeneinfahrt ist einiges los, wir schieben uns durch die Lücke zwischen zwei großen Containerschiffen, die von Schleppern begleitet in den Hafen wollen; danach wird es ruhiger, vor der Silhouette der Innenstadt mit ihren markanten Hochhäusern dümpeln Yachten in der Sonne, und selbst eine Flottille Optis übt auf der strahlend blauen See.
Zuletzt kommt auch noch ein Hauch Wind auf, so dass wir noch einmal den Gennaker auspacken und zwei Stunden die Ruhe genießen können, bevor wir kurz vor Sonnenuntergang die Marina von El Masnou erreichen. Die Capitanía ist am Samstagnachmittag nicht mehr geöffnet, und wir werden angewiesen, die erste Nacht am Tankstellenanleger zu verbringen, bevor wir am Sonntagmorgen dann unseren Liegeplatz für die nächsten Wochen zugewiesen bekommen. Der Rest des Sonntags sowie ein Teil des Montags vergeht erst mal mit den anstehenden Bootspflegearbeiten: das Deck wird gewaschen, der Motor bekommt neues Öl, die Ankerkette wird gereinigt, gespült, getrocknet und geölt, die Logge gezogen und von einer ganzen Kolonie Seepocken befreit; für einen kleinen Rundgang durch El Masnou bleibt aber auch noch Zeit.
Die Kleinstadt ist praktisch ein Vorort von Barcelona und bietet keine spektakulären Sehenswürdigkeiten (von kilometerlangen Traumstränden abgesehen, aber die sind hier ja nichts Besonderes); die hiesige Marina als Winterlager für die ‘Orion’ auszuwählen war im Wesentlichen ein Kompromiss zwischen der Nähe zu Barcelona und dem Flughafen einerseits – und dem Preis andererseits. Um einmal die Verhältnisse etwas zu beleuchten: für einen Monat im Wasser inkl. Strom und Wasser werden hier knapp 450 € fällig; in den Sportboothäfen des kaum 10 Seemeilen entfernten Barcelona ist es etwa dreimal so teuer. Und die mehreren 1000 Liegeplätze, die dort zu Jahrespreisen ab 15.000 € aufwärts vermietet werden, sind auch alle ausgebucht …
Der Hafen von El Masnou ist gegen Sturm und See sehr gut geschützt, im Ort gibt es alle Versorgungsmöglichkeiten, Barcelona ist mit der direkt vor der Marina haltenden Bahn in weniger als einer halben Stunde zu erreichen, der Flughafen mit Umsteigen in einer Stunde – wir haben das Gefühl, hier nichts verkehrt gemacht zu haben.
Barcelona
Dienstag fahren wir mit der Bahn nach Barcelona, um uns die Stadt anzuschauen; 25 Minuten dauert die Fahrt, kostet etwa 1,50 €, und die Züge fahren alle paar Minuten – mal wieder sind wir begeistert, wieviel besser und günstiger der öffentliche Verkehr hier funktioniert. Die letzten Stationen fährt der Zug unterirdisch, und wir kommen mitten in der Stadt, am Plaça de Catalunya an; südlich erstrecken sich die alten Stadtviertel, nördlich die Neustadt.
Barcelona hat gut 1,6 Millionen Einwohner und bedeckt eine Fläche von über 100 Quadratkilometern – natürlich ist es aussichtslos, an einem Tag die ganze Stadt anschauen zu wollen. Wir steuern erst mal die bekanntesten Sehenswürdigkeiten an – und schon davon gibt es viele! An erster Stelle sind die berühmten Gebäude des Architekten Antoni Gaudí zu nennen – deren größtes, die Basilika Sagrada Família, wird jährlich von rund 2 Millionen Touristen besichtigt. Aber auch die anderen, über die ganzen Stadt verteilten Bauwerke, sind bemerkenswert: der Stil ist schwer in Worte zu fassen, sicher ist jedoch, dass die Entwürfe unverwechselbar sind und in Erinnerung bleiben!
Natürlich gibt es auch aus älterer Zeit viel zu sehen: neben der Kathedrale aus dem 14./15. Jahrhundert finden sich noch Türme der römischen Stadtmauern und Reste des Aquädukts. Überhaupt ist die gesamte Altstadt, das Barri Gòtic, eine einzige Sehenswürdigkeit: enge, verwinkelte Gassen mit jahrhunderte alten Gebäuden, die heute – bestens restauriert – Geschäfte, Cafés, Restaurants, Boutiquen, Galerien und Museen beheimaten.
Auf gut Glück durch die Straßen zu laufen ist ein Erlebnis, überall gibt es wieder etwas zu entdecken; und das nicht nur in dreieinhalb Straßenzügen wie in vielen anderen Städten, hier ist noch so viel alte Bausubstanz erhalten, dass man stundenlang durch die Straßen laufen kann, ohne die Altstadt zu verlassen.
Vom Plaça de Catalunya durch die Altstadt bis zum Hafen erstreckt sich die größte Flaniermeile der Stadt, La Rambla: hier kann man entlang prächtiger Gebäude spazieren, die Wahl zwischen unzähligen Restaurants treffen oder wieder links und rechts in die nächste vielversprechende Seitenstraße eintauchen.
Zwischen der Stadt und dem Mittelmeer liegen die Häfen: es gibt einen großen Container- und Fährhafen, den für die Olympischen Spiele 1992 gebauten Port Olímpic und – direkt am Ende der Rambla – die Marina Port Vell. Diese ist fast schon ein Stadtviertel für sich: es gibt ein Riesenrad sowie ein gigantisches Einkaufs- und Freizeitzentrum, welches ein großes Meerwasseraquarium (mit einem 80 Meter langen Glastunnel!) beherbergt. Hier liegt man natürlich sehr zentral – aber eben auch sehr teuer, und alles andere als ruhig: denn natürlich versteht es sich von selbst, dass eine so große Stadt auch verkehrsreich und laut ist, und so sind wir ganz froh, nach einem langen Tag ins ruhige El Masnou zurückkehren zu können!
Saisonende
In 7 Monaten sind wir fast 3200 Seemeilen durch den Englischen Kanal, über die Biskaya, entlang der Küsten Galiziens und Portugals, durch die Straße von Gibraltar und an der spanischen Mittelmeerküste gesegelt; am Mittwoch und Donnerstag stehen noch einige Arbeiten am Boot an, und dann hat sich die ‘Orion’ ein paar Wochen Pause in der Marina El Masnou verdient, um im neuen Jahr den Törn mit frischer Energie fortsetzen zu können!