Am Sonntag den 29. Juni verlassen wir gegen Mittag den Hafen von Falmouth – da wir ja an einer Muringboje liegen und der Wind günstig steht, ganz stilvoll ohne Zuhilfenahme des Motors nur unter Segeln, wie es sich für diesen Weltumseglerhafen gehört! Das Wetter ist zumehmend freundlich, es weht ein mäßiger Nordwest, und die ‘Orion’ macht gute Fahrt unter Vollzeug. Recht bald beibt Lizard Point hinter uns, der südlichste Punkt Großbrittaniens, und vor uns liegen gut 100 Seemeilen offenes Wasser.
Der Wind lässt zum Abend hin nach, bleibt uns aber bei rund 10 Knoten Stärke erhalten – nicht genug für aufregende Geschwindigkeiten, aber in Verbindung mit der recht glatten See sorgt das für eine so ruhige und gleichbleibende Lage des Bootes, dass in der Nacht sogar mal an Schlaf zu denken ist. Aber auch die Wache ist nicht langweilig: der inzwischen komplett klare Himmel bietet einen Blick aufs Firmament, wie man ihn an Land mit all den Lichtern der Umgebung nie zu sehen bekommt – die Milchstraße scheint so nah und plastisch, einfach toll! Und zur Krönung kommen auch noch Delfine zu Besuch – auf einmal hört man das laute Ausatmen noch bevor man sie sieht, und dann schnellen ein gutes Dutzend der anmutigen Tiere durch unsere Bugwelle, scheinen fasziniert von dem intensiven roten und grünen Licht, welches die Positionsleuchten auf das Wasser werfen, und begleiten unsere Fahrt einige Minuten.
Am Sonntagmittag kommt Land in Sicht, die bretonische Küste; vorgelagert liegt die Île d’Ouessant, und zwischen dieser und dem Festland befindet sich die Meerenge des Chenal du Four. Nicht überraschenderweise gibt es auch hier wieder starke Gezeitenströme zu berücksichtigen: gegen 16 Uhr, mit Hochwasser Brest, soll der Strom anfangen, gen Süden zu setzen. Wir sind pünktlich da, und freuen uns über 3 Knoten zusätzliche Geschwindigkeit auf dem Weg Richtung Brest.
Dieses lassen wir dann jedoch links liegen, unser Ziel ist der kleine Hafen von Morgat auf der Crozon-Halbinsel; diesen erreichen wir gegen 21:30 am Abend, nach 136 zurückgelegten Seemeilen. Wir übernachten an einer Muringboje vor dem feinen Sandstrand und genießen das Abendlicht auf den Felsen.
Gleich am nächsten Morgen verholen wir uns in den Hafen, der einen Schwimmsteg für Gäste aufweist; als erstes gibt es ein frisches Baguette vom örtlichen Bäcker – wenn eines in England gefehlt hat, dann das!
Später wandern wir in den Hauptort Crozon, um Einkäufe zu erledigen; ein netter kleiner Ort mit bretonischem Flair. Am Nachmittag wird die ‘Orion’ auf die nächste Passage vorbereitet, die Überquerung der Biskaya selbst: Wasser wird aufgefüllt, alles seefest verstaut, und auch das Schlauchboot wird zusammengefaltet, denn es ist durchaus mit etwas ruppigeren Bedingungen zu rechnen. Der Wetterbericht für die nächsten drei Tage verspricht kräftigen Nordostwind der Stärke 5 bis 6, in Böen bis 7. Mal wieder hätten wir auch eine Windstärke weniger genommen, aber stabiler Nordost ist für die Querung der Biskaya einfach perfekt, das kann man sich nicht entgehen lassen – berüchtigt ist das Seegebiet ja vor allem wegen der extremen Wellenhöhen, die enstehen, wenn die Atlantikdünung aus Südwest gegen den aus mehreren 1000 Meter tiefem Wasser schlagartig aufsteigenden Festlandsockel prallt, und das ist bei Nordostwind kein Problem. Also, da müssen wir wohl durch …
So stehen wir also am Dienstag den 2. früh auf, holen noch eine Wettervorhersage und ein frisches Baguette ein, und verlassen dann den Hafen von Morgat mit Kurs Südsüdwest … wobei, während des ganzen Vormittags führt der Weg erst mal nur nach Westen, man muss nämlich an der Île de Sein und den vorgelagerten Felsen vorbei, bevor man nach Süden abbiegen kann. Der Wind kommt dabei zunächst mäßig aus Nord, frischt aber langsam auf; als wir am späten Mittag den Kurs ändern können, wechseln wir vom Vollzeug auf die beidseits ausgebaumten Vorsegel, um mit dieser ‘Passatbesegelung’ vor dem Wind in die Biskaya zu fahren.
Der Wind legt auch tatsächlich zum Abend immer mehr zu, so dass wir gute Geschwindigkeiten um die 7 Knoten laufen; da die Wellen auch Höhen von 2-3 Metern erreicht haben und in sehr kurzer Folge auf das Heck gelaufen kommen, rollt die ‘Orion’ allerdings ganz erbärmlich dabei. An Schlaf ist in der ersten Nacht nicht zu denken …
Eine Abwechslung stellt nach Sonnenuntergang die Begegnung mit der ‘Juan Sebastián de Elcano’ dar, dem Segelschulschiff der spanischen Marine – dem einzigen anderen Schiff im Umkreis von hundert Meilen, und wir müssen noch den Kurs korrigieren, um nicht zusammenzustoßen … phänomenal.
Zum Morgen hin nimmt der Wind deutlich ab; wir halten dies für einen vorübergehenden Effekt, da die GRIB-Daten für den ganzen Tag konstante 6 Beaufort aus Nordnordost versprechen, und unternehmen erst mal … nichts. Die ‘Orion’ rollt munter in den immer noch beachtlichen Wellen, und fährt immer langsamer, da der Wind fehlt. Am Nachmittag wird es immer schlimmer, es braucht dringend mehr Tuch … doch selbst die aktuellen Vorhersagen per NAVTEX kündigen immer noch 6 bis 7 Windstärken mit Böen bis Stärke 9 für die Nacht an – will man da mit Vollzeug reinfahren? Es beginnt also ein beispielloses Segelwechsel-Training: Vorsegelbäume bergen, Groß mit Bullenstander setzen; der Wind legt zu, Groß reffen; der Wind nimmt wieder ab, Groß ausreffen; der Wind kommt zurück, Groß wieder reffen; er lässt wieder nach, ausreffen und Klüver wieder ausbaumen. Nach einigen Stunden unterhaltsamer Bordgymnastik (nicht zu vergessen, das Boot rollt bei all dem wie wild!) zwischen Sorge vor dem Sturm und Kampf mit der Flaute weiß die jüngste NAVTEX-Vorhersage nichts mehr von 9er Böen … also, Klüver ausgebaumt, zur Sicherheit ein Reff ins Groß und Bullenstander gesetzt (alles unter heftigen Verwünschungen auf alle Wetterpropheten dieser Welt, versteht sich), und dabei bleibt es jetzt für die Nacht, komme da was wolle!
Und es kommt tatsächlich, aber nicht mehr, als die sehr stabile ‘Orion’ verkraften kann; bis 25 Knoten steigt der mittlere Wind, eine gute Stärke 6, und das Boot rauscht auf raumem Kurs nur so durch die Nacht; zum Morgen wird es aber schon wieder weniger, und nach Sonnenaufgang schütteln wir das Reff aus dem Großsegel und fahren den Rest des Tages mit angenehmen Kurs zum Wind und guter Geschwindigkeit weiter. Erst am späten Nachmittag verlässt uns der Wind dann ganz, so dass wir die letzten zwei Stunden motoren müssen. Als endlich Land in Sicht kommt, meinen wir uns verfahren zu haben: grüne Wälder über schroffen Felsen, alles in Regen und Nebel verhangen: sind wir etwa in Norwegen gelandet? Aber gegen 19 Uhr erreichen wir den Hafen von Viveiro in der gleichnamigen Ría, wo wir nach 325 Seemeilen und 59 Stunden festmachen und feststellen: wir sind in Spanien!
Dienstagmittag verlassen wir Nieuwpoort und damit Belgien, um hoch am Wind weiter Richtung Westen zu segeln: Frankreich ist das Tagesziel. Der erste französische Hafen ist Dunkerque (deutsch Dünkirchen), was uns aber als großer Industriehafen einerseits und wegen seiner völligen Zerstörung im 2. Weltkrieg andererseits nicht so attraktiv erscheint; lieber segeln wir noch ein Stück weiter in die Kleinstadt Gravelines.
Dafür hat dieser kleine Hafen so seine Tücken bei der Ansteuerung: als wir versuchen, zwei Stunden vor Hochwasser durch den Zufahrtkanal zu motoren, ist 50 Meter nach den Molenköpfen Schluss: die ‘Orion’ sitzt sanft rumpelnd auf Sand. Nach den Tidenberechnungen hätte es eigentlich schon passen sollen, aber was hilft’s, wir setzen zurück und dümpeln eine Stunde dumm vor der Einfahrt herum. Beim zweiten Versuch fahren wir vielleicht 10 Meter östlich des ersten Versuchs – und sehen nie weniger als 4 Meter Wassertiefe, obwohl die Flut in der Stunde maximal einen Meter gestiegen sein kann. Glückwunsch, wir haben den einzigen Sandhaufen in der gesamten Zufahrt gefunden …
Nach einer halben Stunde Kanalfahrt und Überwindung eines Sieltores erreichen wir dann den ‘Port de Plaisance’ in Gravelines. In den nächsten Tagen ist noch stärkerer Gegenwind angesagt, so bleibt genug Zeit den Ort anzuschauen.
Bemerkenswert ist vor allem die gut erhaltene Stadtbefestigung aus dem 17. Jahrhundert: sternförmig umgeben Mauern, Wälle und Wassergräben die Altstadt. Die eigentliche Attraktion ist aber der dadurch in der Stadt entstehende Naturraum: die Wälle sind ein Meer blühender Wildblumen, große Weiden säumen die still daliegenden Gräben und verströmen eine träumerische Ruhe; der (noch) wolkenlos blaue Himmel trägt natürlich auch zum positiven Eindruck bei.
Ein weiterer Aspekt, der uns sehr zusagt, sind die kulinarischen Vorzüge: gleich am Yachthafen finden wir einen französischen Lidl. Alles wie zu Hause, denkt man, aber von wegen: selbst der Discounter bietet ein Baguette zum Frühstück, wie man es bei uns vergeblich zu kaufen sucht, eine gewaltige Frischfischauswahl, ein umfangreiches Angebot guter Weine und überhaupt viele kleine Leckereien. Noch viel besser kommt es aber in der Stadt: wir entdecken eine kleine Pâtisserie, die verführerische Kunstwerke verkauft – und das nicht teurer als bei uns das Stück Blechkuchen. Hier kann man es aushalten!
Calais
Am Freitag hat der Gegenwind auf eine angenehme Stärke von um die 4 Beaufort nachgelassen, und die Sonne scheint auch noch, also geht es weiter; leider können wir Gravelines nur um Hochwasser verlassen, und dann hat man noch Stunden den Strom gegenan auf dem Weg nach Westen, aber was hilft’s – einige Kreuzschläge machen aus 13 Seemeilen auf der Karte mal eben 23 durchs Wasser, aber die Marina in Calais liegt hinter einer Brücke, die frühestens 2 Stunden vorm nächsten Hochwasser wieder öffnet, also hat es eh keinen Sinn sich zu beeilen. Wir erreichen Calais gegen 17:30 und warten noch 4 Stunden an einer Boje, bis die Brücke öffnet; dabei legen gegenüber die großen Englandfähren quasi im Fünfminutentakt an und ab .
Die Marina in Calais besticht zunächst mal dadurch, dass sie den bislang von Scheveningen gehaltenen Preisrekord bricht – € 32,60 sind hier fällig. Schade, dass man dafür bei der abendlichen Ankunft noch nicht mal eine Chance hat, an den Code für die Duschen zu kommen und diese so auch zu benutzen …
Da auch hier die Weiterfahrt tidenbedingt erst am nächsten Nachmittag stattfinden kann, bleibt genug Zeit noch durch die Altstadt zu flanieren; obwohl Calais eine lange Geschichte vorzuweisen hat, ist hier leider nicht mehr so viel davon zu sehen, lediglich ein paar alte Gebäude haben die Kriegszerstörungen überlebt. Wir finden aber einen lebendigen Wochenmarkt mit großem Angebot, das entschädigt etwas.
Boulogne-sur-Mer
Am Samstag stehen die Zeichen auf Flaute – wir fahren dennoch los, denn Flaute ist immer noch besser als starker Gegenwind, und den soll es einen Tag später geben. Außerdem ist es mit 23 Seemeilen nicht so weit bis Boulogne-sur-Mer, das richtet der Strom schon fast von selbst …
So kommt es dann auch: der Wind weht nicht einmal stark genug um eine Richtung zu bestimmen, und während der Motor gerade mal eingekuppelt ist, fährt die ‘Orion’ mit über 5 Knoten über Grund. Wir runden dabei das erste Kap dieser Reise, Cap Gris-Nez, welches gleichzeitig die engste Stelle der Straße von Dover markiert: hier befindet sich England nur 33 Kilometer vom europäischen Festland entfernt. Der Tidenstrom erreicht hier 3-4 Knoten bei geringen Wassertiefen – bei der heutigen Flaute können wir dicht unter Land fahren, aber was hier bei Starkwind gegen Strom los ist mag man sich gar nicht vorstellen …
So treiben wir also – endlich mal bei sommerlichen Temperaturen – nach Boulogne-sur-Mer, wo wir im recht gut gefüllten Stadthafen (Samstagabend!) noch einen Platz im Päckchen bekommen. Da am Sonntag der angekündigte frische Südwest weht, bleiben wir im Hafen und schauen uns die Stadt an. Diese hat schon viel erlebt: schon in keltischer Zeit war hier ein Fischerdorf, die Römer haben dann auf dem Hügel die Stadt gegründet – nicht zuletzt, um von hier England zu erobern. Das hatte erheblich später dann auch Napoleon noch einmal vor, allerdings wurde daraus nichts mehr. Heute findet man unten am Hafen eine eher moderne Innenstadt vor, oben auf dem Hügel aber findet man noch die – gut erhaltene – befestigte Anlage aus dem 13. Jahrhundert, in deren Straßen heute unzählige Restaurants und Cafés auf ihre Gäste warten.
Dieppe
Am Montag weht der Gegenwind mal wieder schwächer, also machen wir uns auf den Weg nach Dieppe; um die 55 Seemeilen geht es nach Südwesten, was sich nicht furchtbar viel anhört – es sei denn, man hat eine volle Tide mit bis zu 3 Knoten Strom gegenan. So ist am Nachmittag, als der Wind langsam einschläft und der Strom endlich dreht, kaum ein Drittel der Strecke geschafft; für den Rest läuft der Motor, bis wir nach Mitternacht endlich am Gästeponton festmachen.
Dienstagmorgen ist das Wetter viel unfreundlicher geworden, schwarze Wolken drohen mit Regen; wir schauen uns schnell die Stadt an, bevor dieser dann wirklich einsetzt. Durch einen natürlichen Tiefwasserzugang zum perfekten Hafenstandort prädestiniert, ist Dieppe seit langer Zeit ein wichtiger Hafen gewesen; nach einer der (zahlreichen) Zerstörungen wurde die Stadt ab 1694 neu aufgebaut, was sich im barocken Stil der Architektur zeigt. Zu beiden Seiten der ebenen Fläche um den Hafen erheben sich weiße Kreidefelsen zum Meer hin, von denen aus seit dem 12. Jahrhundert eine Burg über die Stadt wacht (das heutige Gemäuer seit 1435).
In der Vergangenheit hat Dieppe zahlreiche Künstler angezogen: Impressionisten wie Pissarro und Delacroix verewigten das besondere Licht in der Region in ihren Bildern; aber auch den erholungssuchenden Städter zog es hierhin, Dieppe wurde im 19. Jahrhundert das erste Seebad Frankreichs. Heute prägen eine belebte Einkaufsstraße mit Markt, mehrere Kirchen mit aufwendigen Sandsteinfassaden – die leider von den Einflüssen der Zeit und der Umweltverschmutzung zum Teil stark in Mitleidenschaft gezogen sind – und die vielen alten Häuser das Stadtbild. Anders als in Boulogne, wo die neuzeitliche Innenstadt separat vom historischen Stadtkern lag und dieser eher Museumscharakter hatte, ist hier alles noch ganz normal im Gebrauch; dadurch ist es hier lauter und auch durchaus etwas heruntergekommen, aber dafür auch authentischer.
Fécamp
Im Laufe der Nacht zieht der Regen durch, und der Mittwochmorgen erscheint erst mal freundlich; leider ist es aber nicht möglich, auch loszufahren bevor der nächste Regen droht, die Tide steht nämlich wie immer dagegen. Erst um 14:30, als der Himmel sich wieder zugezogen hat, können wir bei Hochwasser losfahren; Wind weht kaum noch, und so motoren wir – vom Tidenstrom angeschoben – gut 30 Seemeilen nach Fécamp, während es immer mal wieder regnet. Ensprechend kommen wir bei Niedrigwasser an, und es ist schon etwas unheimlich, mit wenig Wasser unterm Kiel in die Hafeneinfahrt zu steuern, während links und rechts dunkle, algenbewachsene Mauern fast auf Masthöhe aufragen …
Wieder ist es am nächsten Morgen freundlicher, und da sich der Abfahrtszeitpunkt tidenbedingt immer mehr nach hinten schiebt, bleibt viel Zeit für einen Stadtrundgang. Fécamp ist nicht sehr groß, hat aber einiges zu bieten: seit dem 7. Jahrhundert Standort eines Klosters, erlangte dieses mehr und mehr an Bedeutung, besonders nachdem die Mönche Wilhelm den Eroberer bei der Schlacht von Hastings 1066 unterstützt hatten, die diesem die Krone von England brachte – und den Mönchen reiche Schenkungen.
Auch auf die Mönche zurück geht das berühmteste Produkt Fécamps: der Bénédictine-Likör. Seinem Hersteller brachte er solchen Reichtum ein, dass er – als etwas abenteuerliche Mischung aus Produktionsstätte und Museum und unter ebenso abenteuerlicher Vermengung verschiedener Baustile – 1898 das Palais Bénédictine errichten lassen konnte, welches auch heute noch im Besitz der Brennerei ist und besichtigt werden kann.
Das Wetter macht einen prachtvollen Eindruck, als wir am späten Mittag wieder an Bord kommen, doch das täuscht: die Vorhersagen kündigen einen schweren Sturm am Freitag und Samstag an; wir verlassen also noch am Nachmittag Fécamp, um mit der Tide bis zur Seinemündung zu kommen und dort in Honfleur den Sturm abzuwettern.
Honfleur
Der Plan gelingt auch ganz gut; zunächst scheint noch die Sonne, während die Kalksteinküste vorbeizieht – so sieht sie doch gleich ganz anders aus als im einheitlichen Grau. Als wir uns aber der Seinemündung nähern, bauen sich im Südwesten bereits tiefschwarze Wolkentürme auf. Die Tidenberechnung passt, und die letzten 10 Meilen spült uns die Flut bis in die Schleuse von Honfleur, die wir um 23 Uhr passieren. Kurz danach beginnt es auch zu regnen, und der Wind legt die ganze Nacht beständig zu; den ganzen Freitag regnet und stürmt es, kein Wetter, um das Boot zu verlassen.
Anders aber am Samstag: der Wind hat nachgelassen, die Sonne schaut häufiger mal zwischen den Wolken hervor, und wir können uns endlich Honfleur anschauen. Der kleine Ort hat rund 8000 Einwohner – und gefühlt doppelt so viele Touristen, die sich die Zeugnisse seiner tausendjährigen Geschichte anschauen wollen. Draußen auf der Seine gibt es einen eigenen Anleger für Kreuzfahrtschiffe, und die Straßen wimmeln vor – vor allem asiatischen – Gästen. Der Ansturm ist aber durchaus nachvollziehbar: hier scheint die Zeit wirklich stehengeblieben zu sein, das alte Hafenbecken ist umgeben mit jahrhundertealten Häusern, die engen Gassen sind wirklich sehr malerisch, auch die unzähligen Restaurants und Läden fügen sich tatsächlich durchaus gut ein. Besonders außergewöhnlich ist die Kirche Sainte-Catherine: sie wurde im 15. Jahrhundert von Schiffszimmerleuten erbaut – ganz aus Holz. Uns erinnert sie ein wenig an die Stabkirchen in Norwegen … Berühmte Söhne der Stadt sind Erik Satie und Eugène Boudin; letzterer und viele andere Maler haben in der Stadt gearbeitet, die als eine der Geburtsstätten des Impressionismus gilt.
Das Vieux Bassin mit der Lieutenance im Hintergrund
Sainte-Catherine
Straßenszene in der Altstadt
Als wir am Pfingstsonntag Honfleur verlassen wollen, müssen wir eine ganze Weile vor der Schleuse warten; wie es sich für einen Ort mit maritimer Tradition gehört, findet die Pfingstprozession hier auf dem Wasser statt: sicher 100 Fischer und Freizeitboote kommen uns – mit zahlreichen Wimpeln geschmückt – entgegen. Aufgrund der Tide ist mal wieder eine Nachtfahrt angesagt: da man Honfleur nur mit ablaufendem Wasser verlassen kann, kommen die nähergelegenen Häfen als Ziel nicht in Frage, da diese alle trockenfallen und somit nur bei Hochwasser anzusteuern sind. Nächster passender Hafen ist
Saint-Vaast-La-Hougue
auf der Halbinsel Cotenin, also einmal über die Bucht der Seine, gut 60 Seemeilen. Gleich nach dem Verlassen der Seinemündung queren wir dabei den Nullmeridian, die GPS-Anzeige springt von Ost auf West um – doch ein besonderer Moment, wenn es auch nicht der Äquator ist 🙂 Glücklicherweise hält der Wind auch mal über Nacht durch, so dass wir praktisch die ganze Strecke segeln können und gegen 7 Uhr am nächsten Morgen unser Ziel erreichen.
Saint-Vaast-La-Hougue ist ein kleiner Fischerort mit einer großen Marina. Spektakuläres gibt es hier nicht, aber der Ort macht einen freundlichen Eindruck; auffällig sind die vielen Gebäude aus großen, kaum behauenen Natursteinen: geologisch unterscheidet sich die Küste hier stark von der restlichen Normandie und ähnelt eher schon der Bretagne, statt des ansonsten allgegenwärtigen Kalksteins gibt es hier ‘richtige’ Felsen.
Am nächsten Morgen geht es früh weiter – ganz langsam schiebt sich das Vormittagshochwasser weiter und lässt es weniger schlimm erscheinen, in aller Frühe aufzubrechen als mitten in der Nacht anzukommen. Es bleibt aber festzuhalten, dass man bei einer Kanalquerung von Osten nach Westen vorher auf die Tidenzeit achten sollte, denn da man mit dem Vorrücken nach Westen die tägliche Verschiebung der Tide in etwa kompensiert, kann man wochenlang vor dem Problem ungünstiger Tageszeiten stehen – so wie wir.
Es hat kaum 10 Grad so früh am Morgen; aber dafür ist der Wind mal günstig, es regnet nicht, und der Strom schiebt auch von Anfang an kräftig mit. Dies steigert sich immer mehr, bis wir an der Nordostspitze der Cotenin-Halbinsel mit dem ‘Raz de Barfleur’ dem ersten richtigen Race begegnen – Races sind die Meerengen, in denen die Gezeiten extreme Strom- und Seeverhältnisse erzeugen können. Da die Bedingungen ganz ruhig sind, trauen wir uns näher ran – und staunen nicht schlecht: quer vor der ‘Orion’ liegt auf einmal eine Wand weißer Brandung! Ein zweiter (und dritter ) Blick auf die Seekarte bestätigt es: nein, da sind keine Untiefen. Also müssen wir da durch … der Strom steigt auf über 4 Knoten, die Wellenhöhe auf locker 2 Meter (während es 5 Minuten vorher kaum 20 Zentimeter waren), und die 12 Tonnen der ‘Orion’ werden wie Spielzeug hin- und hergeworfen – unheimlich! Aber nach wenigen 100 Metern wird es schon deutlich besser, und ganz allmählich werden auch die Wellen wieder niedriger. Das Erlebnis genügt aber, unseren Respekt vor diesem Phänomen noch mehr zu erhöhen …
Cherbourg
Dank Strom und Wind erreichen wir noch vor 12 Uhr nach 29 Seemeilen das Tagesziel Cherbourg; auffällig ist schon bei der Annäherung die gewaltige Außenmole (tatsächlich die zweitgrößte der Welt), die sich kilometerlang in die See erstreckt. Dieses Mammutprojekt wurde schon 1783 unter Louis XVI. begonnen und erst 70 Jahre später unter Napoléon III. vollendet – und hat damit ein Königreich, zwei Kaiserreiche und zwei Republiken erlebt, eine zweifellos sehr abwechslungsreiche Episode der französischen Geschichte.
Der Hafen bestimmt auch die Stadt Cherbourg: es gibt eine große Marinebasis, ein Fährterminal und den mit 1560 (!) Liegeplätzen größten Yachthafen an der ganzen Kanalküste. Der Rest der 80.000-Einwohner-Stadt beeindruckt eher nicht so, es gibt die üblichen Einkaufsstraßen und ein paar schöne, alte Gebäude, aber kein durchgehend historisches Stadtbild – hier ist wohl zu viel im Krieg, als Cherbourg nach der Landung der Alliierten in der Normandie hart umkämpft war, zerstört worden.
Alderney
Mittwoch geht es gleich weiter, mal wieder in aller Frühe: diesmal sind es das Cap de la Hague und das anschließende Alderney Race, die zur richtigen Zeit passiert werden wollen. Da Alderney – als britischer Kronbesitz – auch in der Zeitzone 0 liegt, kommen wir schon um 9 Uhr Ortszeit dort an, nachdem wir wieder im Bereich des Kaps durch recht rauhe See gefahren sind. Eine Marina mit Schwimmstegen sucht man hier vergeblich, der einzige Hafen verfügt nur über eine Schutzmole und eine Menge Muringbojen; beim Einlaufen kommt auch schon der freundliche Hafenmeister angefahren, überreicht die Einklarierungsformulare und kassiert das Liegegeld (20 Pfund pro Tag).
Da das Wetter erst mal recht unfreundlich bleibt und wir uns die Insel auch richtig anschauen wollen, bleiben wir vorerst hier; Donnerstag kommt die Sonne kaum heraus, aber es bleibt wenigstens halbwegs trocken, und am Freitag ist es sogar freundlicher, so dass wir zwei ausgedehnte Inselwanderungen machen – endlich mal wieder richtiger Landgang!
Victoria Street, Saint Anne
Saint Anne’s Church
Blumenpracht zwischen den Felsen
Was wir sehen gefällt uns richtig gut: Alderney hat einen kleinen Ort mit hübschen alten Häusern, in denen sich einladende Geschäfte und Tea Rooms verbergen, und eine dekorative Kirche inmitten eines Friedhofs mit beeindruckenden alten Grabsteinen aus den vergangenen Jahrhunderten. Die Küste rundum ist felsig und schließt viele kleine Buchten mit weiß leuchtenden Sandstränden ein; auf den Klippen stehen etliche große Befestigungsanlagen aus viktorianischer Zeit (mit einigen weniger dekorativen Ergänzungen aus der Zeit der deutschen Besatzung). Besonders erwähnenswert sind aber die bunt leuchtenden, ungewöhnlichen Blumen, die – geschützt zwischen den von der Sonne aufgewärmten Felsen – in unglaublicher Pracht gedeihen. Ein besonderer Ort!
Weymouth
Obwohl uns Alderney so gut gefällt wollen wir nach drei Tagen dann auch mal weiter; beim anhaltenden Südwestwind bleibt kaum etwas anderes, als zur Südküste Englands überzusetzen. Die Wetteraussichten sind wenig erbaulich, es soll mit 5 bis 6 Beaufort wehen und dabei kräftig regnen.
Tatsächlich wird es dann aber besser als erwartet: der Wind kommt sehr südlich und überschreitet selten die 25 Knoten, und es regnet auch nur ab und an mal; am Nachmittag kommt sogar die Sonne raus. Allein die Wellenhöhe ist – wohl bedingt durch die starken Gezeitenströme – ganz beachtlich, die ‘Orion’ wird mal wieder richtig durchgeschüttelt. Wir queren die Hauptschiffahrtslinie durch den Kanal, lassen die Insel Portland und das berüchtigte ‘Portland Race’ an Backbord liegen und erreichen schließlich – pünktlich zum Abendhochwasser – Weymouth; wir melden uns über UKW beim Hafenmeister an und bekommen einen Liegeplatz im Stadthafen zugewiesen, mitten unter Cafés, Pubs und Fish&Chips-Buden.
Da am Sonntag der Südwestwind noch mehr zulegt, bleiben wir auch einen Tag und schauen uns die Stadt an; Weymouth ist eines der beliebtesten Seebäder Englands und verfügt über einen langgestreckten Strand vor der Stadt. Es stellt sich uns zunächst die Frage wer sich denn bei einladenden Lufttemperaturen von um die 15 Grad wohl in die erfrischenden Fluten stürzen mag … niemand, natürlich; aber es gibt reichlich Alternativprogramm: buchstäblich alle 20 Meter steht ein Kiosk an der Promenade, der Getränke, Fish&Chips und Eis anbietet, davor verlocken diverse Karussells die Kinder, und Eselreiten am Strand gibt es auch – ein englisches Seebad wie aus dem Bilderbuch der Klischees! Es ist alles nicht besonders schick, hier macht eher die working class Urlaub, aber wir finden es ganz sympathisch.
Lyme Regis
Montag geht’s weiter, wir wollen nach Westen in die Lyme Bay, und dazu gilt es zunächst die Halbinsel Portland zu umrunden, die sich weit gen Süden in den Kanal erstreckt; Problem dabei ist mal wieder der extreme Gezeitenstrom, der vor der Landspitze als ‘Portland Race’ Angst und Schrecken verbreitet. Der Wind bläst gerade mal mit 4 Beaufort aus Südwest, und wir haben den Zeitpunkt so gewählt, dass wir gerade bei Stillwasser in den Bereich des Races kommen; aber das Stillwasser währt hier nur einen Augenblick, und 20 Minuten später sehen wir uns schon mit über 4 Knoten Strom um Portland gespült werden, während sich aus dem Nichts eine kurze, steile See aufbaut. Eine halbe Stunde später ist es auch wieder gut, aber mal wieder haben wir einen Eindruck davon bekommen, wie an solchen Orten bei Sturm gegen 10 Knoten Strom das Tor zur Hölle öffnen kann …
Einige Stunden später erreichen wir Lyme Regis ; der kleine Ort verfügt über keinen für die ‘Orion’ geeigneten Hafen, statt dessen gibt es einige Muringbojen für Gäste vor dem Strand, eine recht schaukelige Angelegenheit.
Der Ort ist freundlich, aber nicht unbedingt spektakulär, und weist die bereits bei Weymouth beschriebenen Charakteristika des englischen Seebads auf, nur alles ein wenig kleiner und beschaulicher; berühmt ist vor allem die alte Hafenmauer ‘The Cobb’, die in Jane Austens Roman ‘Überredung’ eine Rolle spielt, außerdem im Film ‘The French Lieutenant’s Woman’ mit Meryl Streep.
Von viel früher her rührt die eigentliche Attraktion der gesamten Gegend: an dem als ‘Jurassic Coast’ bekannten Küstenabschnitt wurden sowohl sehr viele als auch sehr spektakuläre Fossilienfunde gemacht. Wir suchen natürlich auch die Steilküste ab, finden zwar keinen Dinosaurier, freuen uns aber schon sehr über die unzähligen Ammonitenabdrücke, die stellenweise die Felsen geradzu überziehen!
Teignmouth
Mittwoch folgen wir dann weitere 25 Seemeilen der Lyme Bay Richtung Westen – leider unter Motor, Wind gibt es so gut wie keinen. Da die Maschine aber seit der Seine-Mündung kaum mehr gelaufen ist kann man eigentlich nicht klagen … eher schon über die anderen Aspekte des Wetters, es ist mal wieder grau und regnerisch, und die Mittagstemperaturen erreichen kaum 15 Grad. Gegen Abend, als wir mit dem Hochwasser unser Ziel erreichen, reißt der Himmel endlich mal auf, und bis zum Sonnenuntergang ist der Himmel blau; am nächsten Morgen aber ist es wie immer grau und regnerisch.
Der Hafen von Teignmouth liegt geschützt in der Mündung des Flusses Teign; hier gibt es nicht nur den Sportboothafen in Form eines Bojenfeldes und schwimmender Pontons, sondern auch noch Kaianlagen für den Frachtumschlag – beachtlich, wenn man sich die Dimensionen und Wassertiefen der Einfahrt anschaut. Ansonsten die üblichen Merkmale eines Badeortes (Fish&Chips-Buden, Spielhalle, Pier), aber auch viele wirklich einladend gestaltete kleine Geschäfte an der Einkaufsstraße.
Für Segler ist noch erwähnenswert, dass von hier 1968 Donald Crowhurst mit seinem Trimaran ‘Teignmouth Electron’ zur Teilnahme am ersten Golden-Globe-Rennen aufbrach – und bekanntlich nie wiederkehrte.
Dartmouth
Am nächsten Morgen ist das Wetter unverändert veränderlich: wir unternehmen noch einen Rundgang durch Teignmouth, bei dem wir eine erfrischende Dusche abbekommen. Gegen Mittag stabilisiert es sich aber etwas, und wir machen uns wieder auf den Weg. Tagesziel ist Dartmouth, ein sehr traditionsreicher Hafen im River Dart. Von See kommend ist die Mündung kaum zu erkennen, zu beiden Seiten erstrecken sich dicht bewaldete Hügel; man passiert das um 1500 erbaute Kingswear Castle, welches die Flussmündung bewacht, folgt dem Fluss um eine Kurve, und sieht an den Ufern des Flusses und den Hügeln darüber die Stadt vor sich liegen.
Der perfekten Lage verdankt der Ort seine lange Seefahrtstradition: von hier brachen die Ritter 1147 und 1190 zu den Kreuzzügen auf, die Pilgerväter machten 1620 mit der ‘Mayflower’ auf dem Weg nach Amerika Station, und seit dem 14. Jahrhundert ist Dartmouth Stützpunkt der Royal Navy. Heute gibt es noch die Marineoffiziersschule, ansonsten ist Dartmouth fest in der Hand der Freizeitkapitäne: zu beiden Seiten des Flusses und auch mitten darin erstrecken sich unzählige Steganlagen und Muringbojenfelder. Wir finden wieder Platz an einem frei schwimmenden Besucherponton direkt vor der Stadt, mit dem Dinghi ist man in einer Minute an der Kaimauer.
Am Freitag ist Mittsommer, und endlich scheint das Wetter das auch mal zu berücksichtigen: den ganzen Tag strahlt die Sonne am blauen Himmel. Wir beschließen, den Tag in Dartmouth zu bleiben und laufen den ganzen Tag durch die Stadt. Zu sehen gibt es genug: verwinkelte Gassen, unzählige schöne, historische Gebäude, viele einladende Geschäfte – Dartmouth ist der bislang schönste Stopp unserer Reise entlang der südenglischen Küste!
Dartmouth: Butterwalk, …
… South Embankment …
… und Altstadt
Salcombe
Am Samstagnachmittag ziehen wir dann bei (noch) schönem Wetter weiter – es gibt ungewöhnlicherweise mal Ostwind, das muss man nutzen, und zwar zur Rundung den nächsten Kaps, Start Point. Seit alter Zeit ist diese markante Felsformation ein Orientierungspunkt für die Schiffahrt – und auch das Ende vieler Reisen, denn unzählige Wracks liegen hier auf dem Meeresgrund. Seit 1836 warnt das ‘Start Point Lighthouse’ vor der Gefahr.
Unter zunehmend bedecktem Himmel und mehr Wind erreichen wir Salcombe, ebenfalls in einer geschützten Bucht gelegen; hier ist es ganz schön voll, die Boote liegen teilweise zu zweit an den Murings. Der Ort ist recht klein, und im Vergleich zu Dartmouth verstehen wir nicht ganz, was die ganzen Leute hier wollen; es mag aber auch am inzwischen wieder vollständig grauen Himmel und dem kalten Wind liegen, dass wir nicht so recht warm mit Salcombe werden.
River Yealm
Am nächsten Vormittag schüttet es wieder aus Kübeln – wir lassen das Regenwetter erst mal durchziehen, denn auch heute ist es nicht weit bis zum nächsten Ziel: in der Mündung des Flusses Yealm gibt es zahlreiche Murings für Besucher. Und Besucher gibt es auch viele: Plymouth ist nur 7 Seemeilen entfernt, und der landschaftlich äußerst reizvoll gelegene Fluss ist natürlich ein beliebtes Ziel bei den Seglern aus der Großstadt. Wir bekommen gerade noch einen Platz am (frei schwimmenden) Besucherponton und beschließen gleich, auch den nächsten Tag hier zu verbringen und die Gegend zu erkunden.
Die Umgebung ist wirklich schön: eingebettet in grün bewaldete Hügel windet sich der Fluss, mit dem kleinen Dorf Newton Ferrers am Hang; dort kann man mit dem Dinghi anlanden und über die Hügel zur Küste wandern, wo sich ein durchgehender Fernwanderweg, der Coastal Path, an der ganzen englischen Südwestküste entlangzieht. Die Ausblicke sind phantastisch (auch wenn das Wetter gerade mal soweit mitspielt dass es nicht regnet): grüne Hügel und schroffe, von der Brandung umspielte Klippen so weit das Auge reicht, eine Landschaft wie aus dem TV-Melodram.
Plymouth
Wie gesagt ist es nach Plymouth nicht weit, und so machen wir am Dienstag den 25. erst mal dort in einer der zahlreichen Marinas Station – nach 8 Tagen an Murings und Schwimmpontons braucht das Boot mal wieder einen Landstromanschluss und Frischwasser, und die Crew eine Dusche. Wir haben die billigste Marina ausgesucht, und selbst dort schlägt die ‘Orion’ mit gut 40 Pfund zu Buche – die Muringbojen kosten immer rund die Hälfte.
Die Stadt weist eine lange Seefahrttradition auf: von hier brachen Francis Drake und James Cook zu ihren Reisen auf, genauso wie Charles Darwin und Francis Chichester zu seiner Weltumsegelung. Auch die königlich-britische Marinewerft hat hier ihren Standort – gleich vor dem Hafen fahren wir erst mal an einem knapp 300 Meter langen Flugzeugträger vorbei.
Die nach dem Krieg neu aufgebaute Innenstadt ist eher unspektakulär – die übliche Fussgängerzone mit unzähligen Geschäften wie in jeder Großstadt; bemerkenswert ist lediglich die Breite der Hauptachse, die kleine Grünanlagen ermöglicht, welche die städtische Hektik wohltuend unterbrechen. Sehenswerter ist des Viertel um den alten Hafen, wo sich viele schöne, alte Häuser und enge Gassen finden, sowie die große Parkanlage zur Seefront – dort gibt es sogar ein 1935 im Art-déco-Stil erbautes Seewasser-Freibad.
Plymouth, The Hoe, mit dem Smeaton’s Tower
Plymouth, Barbican
Fowey
Für Mittwochmittag ist ein Wetterumschwung angesagt: ab Mittag soll immer stärker werdender Ostwind einsetzen und der Himmel aufreißen; wir verlassen gegen 12 Uhr Plymouth, und tatsächlich dauert es nicht mehr lange, und die Wolken verschwinden. Der frische Ostwind trägt uns gut 20 Seemeilen weiter nach Westen bis nach Fowey in Cornwall; der Ort liegt am steilen Hang über der Mündung des gleichnamigen Flusses und bietet einen tidenunabhängig anzulaufenden Hafen.
Wir finden einen Platz am Schwimmponton gegenüber des Ortes und genießen den Sonnenuntergang – bei wolkenlos blauem Himmel fühlt es sich endlich mal richtig sommerlich an!
Am Donnerstag bleibt es schön, aber der Ostwind bläst inzwischen mit 30 bis 40 Knoten – eine gute Gelegenheit, sich den Ort näher anzuschauen. Dieser wird bis heute – wie hier im englischen Südwesten am Kanal üblich – von seiner Seefahrtstradition bestimmt; diese umfasst allerdings auch weniger rühmliche Episoden: im 15. Jahrhundert war Fowey als das übelste Piratennest Europas verschrien.
Zweifellos hat diese Tätigkeit Geld und Leben in die Stadt gebracht, so dass man noch heute viele urige Gebäude und Gassen bewundern kann.
Nicht nur der Ort, auch die Umgebung ist sehenswert: auf dem schon vom River Yealm bekannten Coastal Path kann man ausgehend vom Rande Foweys gen Südwesten an der Küste entlanglaufen und die – gerade beim starken Ostwind spektakuläre – Brandung auf der felsigen Küste bewundern.
Falmouth
Am Freitag bläst der Ostwind immer noch ganz beachtlich; ab Mittag lässt er auf handliche 20-25 Knoten nach, dafür zieht sich gleichzeitig aber auch der blaue Himmel zu – schade. Wir segeln 24 Seemeilen weiter nach Südwesten bis Falmouth, wo wir am Abend ankommen und wieder an einer Besuchermuring übernachten.
Am nächsten Vormittag schauen wir uns die Stadt an; wir finden eine lebendige Innenstadt mit vielen kleinen Straßen und hübschen Häusern, Geschäften und Pubs. Als südwestlichste Hafenstadt Englands ist Falmouth natürlich eng mit der Seefahrtsgeschichte verknüpft: gleich am Hafen stolpern wir über eine Tafel, die an Aufbruch und Rückkehr Robin Knox-Johnstons 1968/69 erinnert, der als erster Mensch einhand und nonstop die Welt umsegelt hat. Hier muss man als Segler wohl mal gewesen sein!
Kurz nach Mittag geht es aber weiter, denn der Wind ist günstig, um mit einer Nachtfahrt den Kanal zurück nach Frankreich zu überqueren; da das Ziel schon an der Biscaya liegt, beschließen wir hier nach gut einem Monat unsere Fahrt durch den Ärmelkanal, denn der endet offiziell an der Ile d’Ouessant. Sowohl die englische wie auch die französische Seite haben uns gut gefallen; die Bretagne ist dabei leider zu kurz gekommen, aber es gibt ja auch noch einen Rückweg 🙂