Nach dem Ruhetag auf Utsira ist auch die Regenfront durchgezogen, und wir machen uns auf den Weg weiter nach Norden; nach einem Zwischenstopp in Haugesund zum Ergänzen der Frischvorräte (wie wir im letzten Jahr ja feststellen mussten, ist Haugesund offenbar einer der wenigen Orte in Norwegen, die über nahöstliche Obst- und Gemüseläden verfügen) erreichen wir am Abend Espevær. Die kleine Insel vor der Einfahrt zum Hardangerfjord ist uns auch aus dem letzten Jahr noch bekannt, und so verzichten wir auf einen Inselrundgang – nach der Überfahrt verspüren wir immer noch ein größeres Ruhebedürfnis.
So nehmen wir uns auch für den kommenden Tag keine große Strecke vor: gerade 20 Seemeilen weiter nach Norden liegt Brandasund. Bei inzwischen wieder strahlendem Sonnenschein und wenig Wind legen wir die Strecke abwechselnd unter Gennaker und Motor zurück. Da für den folgenden Sonntag noch weniger Wind (also völlige Flaute) angesagt ist, bleiben wir gleich einen Tag länger und genießen die erste heiße Dusche seit Papenburg!
Sowohl die Sonne als auch die Flaute bleiben uns erst mal erhalten: am Montag ist auch kaum an Segeln zu denken, so motoren wir gerade mal 14 Meilen bis in die Bucht Horgevågen. Am Dienstag sieht es windmäßig nicht besser aus, aber wir müssen endlich Strecke machen, und so motoren wir gut 40 Seemeilen an der Küste entlang, bis wir in einer Bucht des Inselchens Stakksøyna, westlich von Hernar, den Heckanker werfen.
Hier bleiben wir länger, denn statt der Flaute setzt nun ein Nordwind mit 25 Knoten ein, und lässt die nächsten 48 Stunden nicht nach. Der Himmel strahlt dabei weiter in schönstem Blau; eine außergewöhnliche Wetterlage, in Norddeutschland erleben wir doch selten Starkwind aus Hochdruckgebieten. Aber kalt ist er, dieser Nordwind, und der Schutz in der Ankerbucht hält auch nicht so ganz das, was wir uns davon versprochen haben; aber obwohl wir den Felsen am Ufer bedenklich nahe kommen, scheint der Heckanker doch zu halten, und irgendwann gewöhnt man sich ja auch an das Heulen des Windes im Rigg.
Am dritten Tag lässt der Wind in der Stärke etwas nach, und so verlassen wir Stakksøyna uns kreuzen bis Byrknes auf. Damit haben wir die Höhe des Sognefjordes erreicht – der nördlichste Punkt unserer letztjährigen Reise, aber noch ein sehr weiter Weg bis Nordnorwegen. Daher geht es am nächsten Morgen früh weiter, wir wollen endlich Strecke machen … der Wind ist wieder recht launisch, häufig verlässt er uns; so muss der Motor wieder helfen, um uns 60 Meilen weiterzubringen. Doch für den Lärm entschädigt das tolle Wetter und die sich bietenden Perspektiven auf die vorbeiziehende Küste: anders als weiter im Süden ragen hier auch die vorgelagerten Inseln immer höher und steiler aus dem Meer empor; wir können uns kaum sattsehen an dieser Landschaft!
Am Ende eines langen Tages erreichen wir Kalvåg; dort gehört der Gästesteg zu einem besseren Restaurant (was in Norwegen, wo auswärts selbst die einfachste Pizza schon 25 Euro kostet, etwas zu bedeuten hat), und wir haben das Pfingstwochenende, weswegen wir uns in Gesellschaft etlicher Motoryachten zwischen 60 und 80 Fuß wiederfinden – und uns etwas abgerissen vorkommen. Aber es gibt ordentliche Duschen, und so verbringen wir einen weiteren Tag dort, denn der Wind hat zwar endlich wieder gelernt zu wehen, und sogar aus der richtigen Richtung – aber dafür mit 8 bis 9 Beaufort, das ist uns doch etwas zu viel. Vor uns liegt nämlich ein besonderes Hindernis auf dem Weg nach Norden: das Kap Stadlandet.
Stadlandet ist ein berühmt-berüchtigter Ort: die Halbinsel bildet den äußersten Punkt, an dem die in Nord-Süd-Richtung verlaufende Südwestküste Norwegens auf einmal nach Nordosten wegläuft. Zahllos sind die Geschichten von sich kreuzenden Wellensystemen, die selbst die großen Schiffe der Hurtigruten in Gefahr bringen – und so ernstzunehmen, dass man hier seit längerem ernsthaft darüber nachdenkt, einen Tunnel durch die Halbinsel zu sprengen, der selbst von mittelgroßen Kreuzfahrtschiffen passiert werden kann. Noch gibt es den aber nicht, und so müssen wir uns Gedanken machen, wie wir an diesem Gefahrenpunkt vorbeikommen. Am liebsten natürlich mit wenig Wind und Welle; aber auch am Pfingstmontag weht es immer noch mit 6 bis 7 aus Süd. Wir finden eine Informationsseite (https://www.barentswatch.no/en), die genaue Vorhersage der Seegangsverhältnisse bietet, und siehe da, solange der Wind noch aus Süd weht, werden keine Kreuzseen erwartet – dafür eine signifikante Wellenhöhe von 4 Meter, was maximale Wellen bis 7,20 Meter Höhe bedeutet … nichts, was man unbedingt haben muss. Aber für Montagnachmittag ist eine Winddrehung auf Südwest angesagt, dann wird das Kap unpassierbar, und danach soll kräftiger Nordwind kommen – auch keine Alternative. Also brechen wir am Montagmorgen vor 6 Uhr in Kalvåg auf und machen uns mit einem mulmigen Gefühl im Bauch auf den Weg.
Und die Meteorologen behalten Recht: der Wind weht wirklich mit 6 bis 7 Beaufort im Mittel (das von uns gemessene Maximum beträgt immerhin 48 Knoten im Bereich der Fallböen dicht unter Land), und die von hinten anrollenden Wellen sind locker 5 Meter hoch. Aber das Wellenbild bleibt geordnet, und die ‘Orion’ kommt problemlos damit klar und gleitet mit 6 bis 8 Knoten Fahrt unterm dreifach gerefften Großsegel über die aufgewühlte See. Ein wesentlicher Punkt ist der anhaltende Sonnenschein: beim gleichen Wind mit peitschendem Regen hätten wir uns nie rausgetraut, der psychologische Faktor ist doch nicht zu unterschätzen.
Gegen Mittag umrunden wir das Kap – und sind begeistert vom Anblick der Küstenlinie dahinter: man sieht viel mehr schneebedeckte Gipfel als weiter im Süden, Hochgebirge und See rücken hier immer mehr zusammen.
Sobald wir im Wellenlee der Halbinsel sind und es ‘nur’ noch mit dem Wind aufzunehmen haben, segeln wir sogar noch etwas am Wind (immer noch 6 bis 8 Beaufort!) und erreichen gegen Nachmittag den kleinen Ort Sandshamn auf Sandsøya – wo wir unendlich froh und erleichtert das erfolgreiche Abenteuer feiern!