Utsira – Stadlandet (11.05. – 21.05.)

Nach dem Ruhetag auf Utsira ist auch die Regenfront durchgezogen, und wir machen uns auf den Weg weiter nach Norden; nach einem Zwischenstopp in Haugesund zum Ergänzen der Frischvorräte (wie wir im letzten Jahr ja feststellen mussten, ist Haugesund offenbar einer der wenigen Orte in Norwegen, die über nahöstliche Obst- und Gemüseläden verfügen) erreichen wir am Abend Espevær. Die kleine Insel vor der Einfahrt zum Hardangerfjord ist uns auch aus dem letzten Jahr noch bekannt, und so verzichten wir auf einen Inselrundgang – nach der Überfahrt verspüren wir immer noch ein größeres Ruhebedürfnis.

Brandasund

So nehmen wir uns auch für den kommenden Tag keine große Strecke vor: gerade 20 Seemeilen weiter nach Norden liegt Brandasund. Bei inzwischen wieder strahlendem Sonnenschein und wenig Wind legen wir die Strecke abwechselnd unter Gennaker und Motor zurück. Da für den folgenden Sonntag noch weniger Wind (also völlige Flaute) angesagt ist, bleiben wir gleich einen Tag länger und genießen die erste heiße Dusche seit Papenburg!

Sowohl die Sonne als auch die Flaute bleiben uns erst mal erhalten: am Montag ist auch kaum an Segeln zu denken, so motoren wir gerade mal 14 Meilen bis in die Bucht Horgevågen. Am Dienstag sieht es windmäßig nicht besser aus, aber wir müssen endlich Strecke machen, und so motoren wir gut 40 Seemeilen an der Küste entlang, bis wir in einer Bucht des Inselchens Stakksøyna, westlich von Hernar, den Heckanker werfen.

Hier bleiben wir länger, denn statt der Flaute setzt nun ein Nordwind mit 25 Knoten ein, und lässt die nächsten 48 Stunden nicht nach. Der Himmel strahlt dabei weiter in schönstem Blau; eine außergewöhnliche Wetterlage, in Norddeutschland erleben wir doch selten Starkwind aus Hochdruckgebieten. Aber kalt ist er, dieser Nordwind, und der Schutz in der Ankerbucht hält auch nicht so ganz das, was wir uns davon versprochen haben; aber obwohl wir den Felsen am Ufer bedenklich nahe kommen, scheint der Heckanker doch zu halten, und irgendwann gewöhnt man sich ja auch an das Heulen des Windes im Rigg.

Am dritten Tag lässt der Wind in der Stärke etwas nach, und so verlassen wir Stakksøyna uns kreuzen bis Byrknes auf. Damit haben wir die Höhe des Sognefjordes erreicht – der nördlichste Punkt unserer letztjährigen Reise, aber noch ein sehr weiter Weg bis Nordnorwegen. Daher geht es am nächsten Morgen früh weiter, wir wollen endlich Strecke machen … der Wind ist wieder recht launisch, häufig verlässt er uns; so muss der Motor wieder helfen, um uns 60 Meilen weiterzubringen. Doch für den Lärm entschädigt das tolle Wetter und die sich bietenden Perspektiven auf die vorbeiziehende Küste: anders als weiter im Süden ragen hier auch die vorgelagerten Inseln immer höher und steiler aus dem Meer empor; wir können uns kaum sattsehen an dieser Landschaft!

Am Ende eines langen Tages erreichen wir Kalvåg; dort gehört der Gästesteg zu einem besseren Restaurant (was in Norwegen, wo auswärts selbst die einfachste Pizza schon 25 Euro kostet, etwas zu bedeuten hat), und wir haben das Pfingstwochenende, weswegen wir uns in Gesellschaft etlicher Motoryachten zwischen 60 und 80 Fuß wiederfinden – und uns etwas abgerissen vorkommen. Aber es gibt ordentliche Duschen, und so verbringen wir einen weiteren Tag dort, denn der Wind hat zwar endlich wieder gelernt zu wehen, und sogar aus der richtigen Richtung – aber dafür mit 8 bis 9 Beaufort, das ist uns doch etwas zu viel. Vor uns liegt nämlich ein besonderes Hindernis auf dem Weg nach Norden: das Kap Stadlandet.

Stadlandet ist ein berühmt-berüchtigter Ort: die Halbinsel bildet den äußersten Punkt, an dem die in Nord-Süd-Richtung verlaufende Südwestküste Norwegens auf einmal nach Nordosten wegläuft. Zahllos sind die Geschichten von sich kreuzenden Wellensystemen, die selbst die großen Schiffe der Hurtigruten in Gefahr bringen – und so ernstzunehmen, dass man hier seit längerem ernsthaft darüber nachdenkt, einen Tunnel durch die Halbinsel zu sprengen, der selbst von mittelgroßen Kreuzfahrtschiffen passiert werden kann. Noch gibt es den aber nicht, und so müssen wir uns Gedanken machen, wie wir an diesem Gefahrenpunkt vorbeikommen. Am liebsten natürlich mit wenig Wind und Welle; aber auch am Pfingstmontag weht es immer noch mit 6 bis 7 aus Süd.  Wir finden eine Informationsseite (https://www.barentswatch.no/en), die genaue Vorhersage der Seegangsverhältnisse bietet, und siehe da, solange der Wind noch aus Süd weht, werden keine Kreuzseen erwartet – dafür eine signifikante Wellenhöhe von 4 Meter, was maximale Wellen bis 7,20 Meter Höhe bedeutet … nichts, was man unbedingt haben muss. Aber für Montagnachmittag ist eine Winddrehung auf Südwest angesagt, dann wird das Kap unpassierbar, und danach soll kräftiger Nordwind kommen – auch keine Alternative. Also brechen wir am Montagmorgen vor 6 Uhr in Kalvåg auf und machen uns mit einem mulmigen Gefühl im Bauch auf den Weg.

Kap Stadlandet

Und die Meteorologen behalten Recht: der Wind weht wirklich mit 6 bis 7 Beaufort im Mittel (das von uns gemessene Maximum beträgt immerhin 48 Knoten im Bereich der Fallböen dicht unter Land), und die von hinten anrollenden Wellen sind locker 5 Meter hoch. Aber das Wellenbild bleibt geordnet, und die ‘Orion’ kommt problemlos damit klar und gleitet mit 6 bis 8 Knoten Fahrt unterm dreifach gerefften Großsegel über die aufgewühlte See. Ein wesentlicher Punkt ist der anhaltende Sonnenschein: beim gleichen Wind mit peitschendem Regen hätten wir uns nie rausgetraut, der psychologische Faktor ist doch nicht zu unterschätzen.

Gegen Mittag umrunden wir das Kap – und sind begeistert vom Anblick der Küstenlinie dahinter: man sieht viel mehr schneebedeckte Gipfel als weiter im Süden, Hochgebirge und See rücken hier immer mehr zusammen.

Sobald wir im Wellenlee der Halbinsel sind und es ‘nur’ noch mit dem Wind aufzunehmen haben, segeln wir sogar noch etwas am Wind (immer noch 6 bis 8 Beaufort!) und erreichen gegen Nachmittag den kleinen Ort Sandshamn auf Sandsøya – wo wir unendlich froh und erleichtert das erfolgreiche Abenteuer feiern!

Papenburg – Utsira (03.05. – 10.05.)

Eigentlich sollte der Winter ja lang genug sein, um das Boot rechtzeitig auf die neue Saison vorzubereiten, aber irgendwie weicht da die Praxis doch von der Theorie ab … mal wieder gibt es in den letzten Wochen vor dem Aufbruch eine Menge Stress, und der ursprüngliche Zieltermin (1. Mai) kann nicht ganz realisiert werden, aber am Donnerstag den 3. ist es dann soweit, wir schleusen um 14 Uhr aus Papenburg aus, verabschiedet von den guten Wünschen der Schleusenmannschaft.

Vogelschwärme begleiten unseren Weg auf der Ems

Der Himmel reißt bald auf, und strahlender Sonnenschein begleitet unsere Fahrt die Ems herunter; Vogelschwärme kreuzen unseren Weg, und die Schafe rufen uns ihr Lebewohl zu – so fängt Urlaub gut an, und die Anspannung der letzten Tage fängt langsam an abzufallen.

Der Wind auf Borkum zu kommt ungünstig aus Nordwest, so dass wir kaum ohne Motor auskommen, aber wenigstens können ab Gandersum die Segel etwas mithelfen. Gerade rechtzeitig bevor der Gegenstrom zu stark wird – eine knappe Stunde nach Niedrigwasser – passieren wir die Fischerbalje und machen gegen 22 Uhr im Schutzhafen auf Borkum fest.

Helgoland in Sicht

Die erste Nacht wird kurz: schon um 6 Uhr legen wir wieder ab, um das ablaufende Wasser bis Borkum Riff nutzen zu können. Auch der Freitag bringt keinen günstigen Wind: am Vormittag können wir noch eine Weile die Ruhe genießen, während der Gennaker die wenigen Knoten Südwestwind zusammen mit der schiebenden Flut in eine annehmbare Fahrt verwandelt, den Rest des Tages läuft aber wieder der Motor; so sind wir dann ganz froh, als Helgoland in Sicht kommt und wir nach etwa 12 Stunden dort festmachen können.

Vogelbrut auf dem Oberland

Am folgenden Tag absolvieren wir das übliche Helgoland-Programm: 500 Liter Diesel sowie einige Liter Spirituosen bunkern; Höhepunkt ist aber die Wanderung übers Oberland zur Brutzeit der Seevögel. Wir beobachten Trottellummen und Basstölpel bei den Paarungsvorbereitungen, wobei sich erstere den Nestbau einfach schenken und ihre Eier gleich auf den nackten Fels legen. Besonders die prächtigen Basstölpel geben ein äußerst dankbares Fotomotiv ab!

Am Sonntagmorgen ist es dann aber endgültig soweit, die Wetterdaten versprechen anhaltenden Ostwind, und wir brechen auf zur Überfahrt. Der Sonntag zeigt sich zunächst recht schwach windig, doch dafür ist die See so ruhig wie man es auf der Nordsee selten erlebt: nur kleinste Wellen kräuseln das Wasser, keine alte See stört unseren Kurs, und so laufen wir unter Gennaker langsam aber stetig nach Nordwesten.

Sonnenuntergang auf See

Nach wie vor scheint die Sonne, der Himmel wird sogar völlig wolkenlos, so dass sich bei gefühlter Windstille Badehosentemperaturen einstellen. Durch die kaum vorhandenen Bootsbewegungen können noch eine Vielzahl an nicht mehr so ganz fertig gewordenen Wartungsarbeiten durchgeführt werden; so wird die Aries abgeschmiert und justiert, und der Generator nach dem winterlichen Ausbau wieder in Betrieb genommen. Am Abend versinkt die Sonne spektakulär in der See, um nach langer Dämmerung einem tiefen Sternenhimmel das Feld zu überlassen. So kann man es aushalten!

Besuch an Bord

Erst am dritten Tag frischt der Wind auf; erst freuen wir uns darüber, sind wir doch in den ersten 48 Stunden kaum über eine mittlere Fahrt von 4 Knoten gekommen, doch nach und nach baut sich eine immer höhere See auf. Am Dienstagabend bläst es schließlich durchgängig mit 5 bis 6 Beaufort – immer noch aus Südost, also genau von achtern. Die See baut sich auf 2 bis 3 Meter auf, und in jeder der kurzen Wellen legt sich die ‘Orion’ von 30° steuerbord auf 30° Backbord. Die mittlere Fahrt am dritten Tag steigt auf deutlich über 5 Knoten, doch die Bootsbewegungen zermürben ganz schön, und an Schlaf ist in der Nacht auch nicht zu denken.

Nach dreieinhalb Tagen auf See: Utsira!

So freuen wir uns, als am Mittwochvormittag Utsira in Sicht kommt und die Überfahrt geschafft ist; wegen des anhaltend starken südlichen Windes umrunden wir die Insel und laufen gegen Mittag in den Nordhafen ein. Hinter uns liegen gut 340 Seemeilen ab Helgoland (470 ab Papenburg), und all die Zeit haben wir kaum eine Wolke und keinen Tropfen Regen gesehen; ein gelungener Auftakt!

Der Liegeplatz im Nordvikvågen gefällt uns weniger gut als der im südlichen Hafen, wo wir letztes Jahr zu Gast waren: man liegt am mit dicken LKW-Reifen verzierten Betonpier gegenüber vom Fähranleger, und es gibt rein gar nichts an Einrichtungen; dafür ist es aber auch völlig umsonst, kein Schild informiert über Gebühren, kein Gemeindevertreter taucht auf und treibt diese ein. Wir machen uns noch auf den Weg zum Supermarkt, um die vermissten örtlichen Spezialitäten einzukaufen, und freuen uns dabei festzustellen, dass wir hier den zweiten Frühling des Jahres erleben können: hier ist die Natur doch deutlich zurück.

Am folgenden Tag ändert sich das Wetter aber drastisch: es regnet anhaltend. Wir nutzen die Zeit um erst einmal gründlichst auszuschlafen, das tut gut!