Nachdem wir fast eine Woche auf Kvitsøy eingeweht waren, konnten wir ja kaum noch glauben, dass sich die Wettervorhersage für Samstag den 15. nicht im letzten Moment noch verschlechtern würde, doch sie blieb auch Samstagmorgen stabil, und so haben wir gegen 8 Uhr bei halbwegs aufgelockertem Himmel und frischem Wind den Hafen verlassen.
Kaum hatten wir den Schutz der letzten Schären verlassen, haben wir Bekanntschaft mit den Wellen gemacht: zweieinhalb bis viereinhalb Meter waren angesagt, und direkt vor Kvitsøy kamen uns die erst mal schräg entgegen, zusammen mit 4 bis 5 Beaufort Wind. Glücklicherweise konnten wir aber schon nach kurzer Zeit auf Südkurs abfallen, so dass wir gute Fahrt gemacht und schon vor 12 Uhr Jærens Rev passiert haben; ab dort kamen die Wellen immer mehr aus Nordwest, unser Kurs war schon östlicher als Süd, so dass sie problemlos von achtern durchgelaufen sind. Beeindruckend war es aber schon, die Atlantikdünung nach mehreren Tagen Starkwind anzuschauen!
Der Wind hatte auch etwas zugelegt und blies den ganzen Tag mit 5 bis 6 Windstärken aus Westnordwest, lediglich beim Durchzug zweier Regenfronten haben wir mal 7 Beaufort gesehen, sonst schien aber auch häufiger mal die Sonne; bei halbem bis raumem Wind war die ‘Orion’ mit 6 bis 7 Knoten unterwegs, so dass wir schon gegen 16 Uhr nach 47 Seemeilen unser Tagesziel erreicht haben; wie letztes Jahr war dies
Gyarhavn
Dieser Naturhafen mit schöner Steganlage sowie Grillhütte mit Kaminofen war uns in bester Erinnerung geblieben; im Unterschied zum vergangenen Jahr waren wir nun aber an einem Wochenende hier, und die Stege waren bereits mit einem halben Dutzend Motorbooten aus Egersund belegt. Offenbar verbringt der halbe Egersunder Bootsverein hier seine Wochenenden – nun, das täten wir ja auch, wenn wir so ein Ziel um die Ecke liegen hätten 🙂
Wir haben aber noch gegenüber einen Liegeplatz längsseits der Felswand gefunden und auch ohne Kaminfeuer einen schönen Nachmittag und Abend verbracht.
Egersund
Die Wettervorhersagen für den Sonntag waren wieder wie in letzter Zeit üblich: Regen und Sturm. 7 bis 8 Windstärken aus Süd sollen es heute sein, also brechen wir zeitig auf und fahren nur ein paar Seemeilen im Schutz von Eigerøya bis zum Gästehafen von Egersund, um dort den Sturm abzuwettern – und mit dem Luxus der Landstromversorgung das nasse Ölzeug zu trocknen.
Am Montagmorgen ist es wieder trocken, und wir erledigen noch Einkäufe in Egersund und schauen uns dabei die Stadt an; wir finden die typischen weißen Holzhäuser vor, die vor allem die Städte Südnorwegens auszeichnen.
Danach verlassen wir den Gästehafen und machen uns wieder auf den Weg nach Südosten; knapp 30 Seemeilen entfernt liegt der nächste größere Einschnitt in der Küste, Flekkefjord mit den vorgelagerten Insel Hidra und Andabeløya. Bei erfreulich moderatem Südwestwind um 4 Beaufort erreichen wir unter vollen Segeln bald unser Ziel
Andabeløy
Der kleine Ort an der Nordspitze der gleichnamigen Insel hat um die 100 Einwohner, der ganze Rest der Insel ist unbewohnt. Da für die nächsten Tage wieder starker Südwind angesagt ist, suchen wir den hiesigen Gästesteg auf, um die Wartezeit bis zum nächsten brauchbaren Wind wenigstens zum Erkunden der Insel nutzen zu können.
Am Dienstag bietet sich dazu auch die Gelegenheit: bis zum Nachmittag ist noch wolkenloser Himmel angesagt, und so machen wir uns auf den Weg zu einer kleinen Wanderung auf Andabeløy; Brenøyknuten heißt die mit 206 Metern höchste Erhebung. Der Weg dorthin führt durch dichte, grüne Wälder und an mehreren Bergseen vorbei, und vom Gipfel bietet sich ein Ausblick in alle Richtungen, man sieht Flekkefjord, Hidra und den Sund, und im Südwesten Lista. Ein Ausflug, der sich auf jeden Fall gelohnt hat – und aller Wahrscheinlichkeit nach die letzte Wanderung dieses Törns, denn nun beginnt die Phase des Wartens auf besseres Wetter, und wenn das kommt geht es übers Skagerak gen Süden …
Flekkefjord
Bis dahin gilt es aber wohl noch einige Tage zu warten; wir beschließen uns noch das eine oder andere Ziel im geschützten Fjordland anzuschauen und fahren dazu am Mittwoch knapp 4 Seemeilen in den Lafjord hinein Richtung Flekkefjord; kurz vor der Stadt gibt es mehrere Naherholungsgebiete, die auch Liegemögliichkeiten für Boote bieten, und wir suchen uns das mit dem stabilsten Pier aus, denn für die kommende Nacht sind die ersten Sturmböen aus Süd angesagt.
Der Donnerstag bringt wieder etwas ruhigeres und vor allem trockenes Wetter – es bläst nur mit 4 – 6 Windstärken aus Südsüdwest (tief im Land, wohlgemerkt). Wir laufen in den nur etwa einen Kilometer entfernten Stadtkern von Flekkefjord und schauen uns die Stadt an.
Diese hat eine interessante Geschichte als Handelshafen im Holzexport in die Niederlande; es heißt, halb Amsterdam stehe auf Eichenstämmen aus Flekkefjord. Im 17. und 18. Jahrhundert besuchten unzählige Handelsschiffe Flekkefjord, um hauptsächlich Holz aufzukaufen; im Gegenzug brachte man westeuropäische Handelsgüter und die holländische Kultur mit. Das Viertel, in dem die Kaufleute ihre Stützpunkte unterhielten, ist gut erhalten, und die hübschen Holzhäuser weisen in der Tat einige Merkmale auf, die uns recht holländisch vorkommen.
Torsøyene
Am Donnerstagnachmittag fahren wir noch ein kleines Stück den Fjord wieder herunter; schon auf dem Weg nach Flekkefjord haben wir uns die Liegeplätze auf Torsøyene angeschaut und für sturmtauglich befunden, also suchen wir uns eine gen Südwesten perfekt geschützte Ecke auf Lille Torsøy und bringen alles an Fendern und Festmachern aus, was wir zu bieten haben. Die Torsøy-Inseln sind mal wieder ein öffentliches Naherholungsgebiet – und haben an soliden Holzstegen Platz für etliche Boote zu bieten; eigentlich ein richtiger kleiner Hafen, es gibt sogar Toiletten, die übliche Grillhütte und Wasseranschlüsse – nur eben kostenlos, und bei den angesagten Bedingungen natürlich völlig leer.
Das Wetterfax, welches wir per Kurzwelle vom DWD empfangen, ist schon beeindruckend – so viele Isobaren mit so wenig Abstand, und der Kern zieht genau über Südnorwegen hinweg. Gegen Abend sollen die stärksten Winde durchziehen, 65 Knoten sind angesagt – Windstärke 12, Orkan … wir ziehen den Kopf ein und warten ab!
Andabeløy
Nachdem wir die Nacht gut überstanden haben holen wir erst mal neue Wettervorhersagen ein – es zeichnet sich eine kleine Chance ab, am Sonntag aufbrechen zu können! Zwar soll es von Sonntag auf Montag immer noch mit 6 bis 7 Windstärken wehen, aber wenigstens aus Nordwest; Dienstag soll der Wind zwar abnehmen, aber dafür auch auf West und Südwest drehen – da nehmen wir doch lieber mehr Wind aus raumen Richtungen.
Um morgen aufbruchbereit zu sein verholen wir uns nochmal nach Andabeløy, wo wir Dienstag schon waren; dort gibt es nochmal Landstrom zum Durchtrocknen des Boots und einen überdachten Raum, in dem wir das Schlauchboot trocknen und einpacken können, und auch sonst alles für die Überfahrt vorbereiten.
Sonntag, 23. September: die Wettervorhersagen sind stabil, wir brechen auf! Nach viereinhalb Monaten verlassen wir Norwegen, genau zur Tag- und Nachtgleiche; unter dem Einfluss eines intensiven Hochs erwarten uns gutes Wetter und 6 bis 7 Windstärken aus Nordwest bei 3 bis 5 Meter Wellenhöhe. Die Fahrt nach Helgoland sollte unter diesen Bedingungen etwa 48 Stunden dauern – auf geht’s!
Überfahrt
Während hinter uns die waldigen Hügel um Hidra zurückbleiben, legt der Wind nach und nach immer mehr zu; die ersten 10 Seemeilen fahren wir noch am Wind, da wir den gefährlichen Flachwasserbereichen vor dem Kap Lista ausweichen wollen; dabei weht es mit um die 20 Knoten, und die Sonne scheint – kein Problem soweit. Gegen Abend legt der Wind aber immer mehr zu; statt 6 bis 7 Windstärken sind es die ganze Zeit immer mindestens 7 Beaufort, und häufig ziehen kleine Unwetterfronten durch, die kurzzeitig Regen, Hagel und Wind um die 9 Beaufort mitbringen; einmal messen wir auch 50 Knoten, das ist Windstärke 10 …
So bleibt es für etwa 36 Stunden, und entsprechend baut sich auch die See auf; der über Kurzwelle empfangene Seewetterbericht des DWD spricht schon von 4 Metern signifikanter Wellenhöhe – bis 8 Meter sind also drin, und so sieht es auch aus (anfühlen tut es sich natürlich noch viel schlimmer).
Wir fahren nur mit dem Großsegel im dritten Reff noch mittlere Geschwindigkeiten von bis zu 7 Knoten, wenn wir gerade so ein Wellenmonster runterrutschen zeigt die Logge auch mal über 9 Knoten an. Beim Durchgang jeder Welle neigt das Boot sich bis zu 60 Grad nach Lee, dann 30 Grad nach Luv – und das wiederholt sich ungefähr alle 5 Sekunden – für 36 Stunden! Unheimlich, das alles, besonders bei Nacht … aber wir überlassen das Steuern der Aries und ziehen das Luk hinter uns zu – was auch gut so ist, etwa einmal pro Stunde kommt uns auch eine Welle im Cockpit besuchen.
Erst am frühen Dienstagmorgen flaut es endlich ab, und wir sind heilfroh, als wir nach genau 48 Stunden und 277 Seemeilen auf Helgoland festmachen; positiv bleibt festzuhalten, dass die ‘Orion’ offenbar mit solchen Bedingungen keine Probleme hat – wie man allerdings dabei schlafen soll, ist uns ein Rätsel, und so wollen wir jetzt erst mal nur ausruhen …
Helgoland
Am Mittwoch hat der Wind auf Südwest gedreht und fast zu alter Stärke zurückgefunden; wir werden also in jedem Fall noch etwas bleiben. Der Hafen ist ungewöhnlich leer – ein Nachbar (mit einem wesentlich größeren Boot) erzählt uns, dass sie am Sonntag von Esbjerg herübergekommen sind – 80 Seemeilen, sie werden also am späten Abend auf Helgoland angekommen sein; die Fahrt sei der absolute Horror gewesen, so ein Sturm. Wir fühlen uns auf einmal gar nicht mehr so schlecht, dass uns die dreieinhalbfache Zeit und Strecke im gleichen Gebiet keinen großen Spaß gemacht hat …
Auch der Hafenmeister ist etwas erstaunt, dass wir Dienstagmorgen reingekommen sind – da war doch seit Tagen niemand unterwegs … nun ja, so schlimm war es nun auch wieder nicht; schon seltsam, dass die vielen 18-Meter-25-Tonnen-Yachten offenbar auch nur bis Windstärke 6 gesegelt werden. Wir zahlen jedenfalls das Liegegeld und die Kurtaxe (und haben damit so viel Hafengeld ausgegeben wie in Norwegen in drei Wochen) und beginnen mit der Erholung – Kur ist angesagt!
Nach der kurzen Entspannung am Dienstag findet der Wind am Mittwoch wieder fast zu gewohnter Stärke zurück – mit 6 bis 7 Beaufort fegt es über Helgoland, nur jetzt aus Südwest. Das hatten die Wettermodelle auch schon am vergangenen Wochenende so vorhergesagt – so gesehen hat es sich als richtig erwiesen, am Sonntag aufzubrechen, später wäre nur Gegenwind gekommen. Aber als wir auf dem Oberland fast wegfliegen wird uns doch nachträglich noch etwas mulmig, dass wir bei noch etwas mehr Wind unterwegs waren – gut, dass der Vorwindkurs den scheinbaren Wind um eine Windstärke verringert.
Am Donnerstag weht es immer noch aus Südwest, aber etwas schwächer; wir erledigen die einschlägigen Einkäufe und gönnen uns zum Törnabschluss noch ein leckeres Abendessen – denn morgen soll der Wind auf Nordnordwest drehen – ideal für die 80 Seemeilen entlang der ostfriesischen Küste bis Borkum.
Borkum
So kommt es dann auch – mal wieder mit etwas mehr Wind als erwartet, aber die Richtung passt, mit 5 bis 6 Beaufort weht es aus Nordnordwest, so dass wir mit einem gemäßigten Amwindkurs zum Teil beachtliche Geschwindigkeiten um siebeneinhalb Knoten herausfahren können; um Punkt 22 Uhr machen wir nach gut 14 Stunden Fahrt im Schutzhafen Borkum fest. Nun fehlen quasi nur noch die letzten Meter … die kommen morgen, gleich um 8 Uhr geht es weiter!
Papenburg
Am Samstagmorgen zeigt sich das Wetter von seiner besten Seite: aufgelockerter Himmel und ein angenehmer Westwind um 4 Windstärken erwarten uns auf der Ems, es gibt kaum Welle; wir können endlich mal wieder Vollzeug setzen und gleiten mit einsetzendem Flutstrom auf Emden zu.
Dort erwartet uns die erste Überraschung: die ‘Picard’ begrüßt uns mit voller Festbeflaggung! Weiter vor Jemgum können wir den J24 des Vereins zuwinken, und vor der Seeschleuse gibt es die erste Kaffee- und Kuchen-Runde … so kommt man doch gerne zurück in die Heimat!
Knapp 3000 Seemeilen in fast 5 Monaten liegen hinter uns; Wetter und Wind waren häufiger widrig als freundlich, aber die sonnigen Tage haben uns dafür entschädigt: Nordnorwegen ist ein unglaublich schönes Stück der Welt!