Zurück an Bord
Am Dienstag, den 25. April ist es endlich soweit: nach 6 Monaten bekommt die ‘Orion’ wieder eine Besatzung! Das zurückliegende halbe Jahr war lang und bitter, und auch die ersehnte Rückkehr ist nur sehr vorübergehend und von vielerlei Einschränkungen geprägt; dennoch sind wir mehr als froh, als uns der milde Wind vorm Flughafen von Mytilini die ersten floralen Düfte in die Nase trägt: endlich zurück!
Natürlich lockt der Ruf der See, aber bevor wir die Leinen loswerfen können, gibt es erst mal einiges zu tun: wichtigste Aufgabe ist der elektronisch und mechanisch vernünftige Einbau der seit über 10 Monaten darauf wartenden Lithium-Zellen; diese waren ja Ende Juni ’22 noch in Agios Nikolaos angeliefert worden, aber mangels Zeit nie korrekt im Batteriefach untergebracht und mangels fehlerfrei arbeitender Elektronik nie richtig in Betrieb genommen worden.
Nun wird erst mal die vorhandene Halterung mittels Flex und Schweißgerät so umgebaut, dass sie die 16 neuen Zellen unverrückbar an Ort und stelle hält, und die Energieverteilung sowie die Ladegeräte und die Steuerung auf die hälftig klappbare obere Abdeckung montiert. Nun sieht das schon viel besser aus, und siehe da, als die 16 Nodeboards mit der Steuereinheit per I²C verbunden sind, können sie auch alle mit dieser kommunizieren – kaum macht man’s richtig, klappt’s auch …
Das alles nimmt schon zwei Tage in Anspruch; am dritten Tag montieren wir die mitgebrachten lazy bags am Großbaum, eine Eigenanfertigung, die im Gegensatz zu vielen käuflichen Systemen aus drei Teilen besteht, so dass nach dem Herausnehmen eines langen Mittelteils mittels symmetrisch verlaufender Reißverschlüsse deutlich schmalere Stoffbahnen zurückbleiben als bei einer zweigeteilten Tasche. Dies fanden wir in der Theorie schöner, und um das Ergebnis vorwegzunehmen, es hat sich auch in der Praxis gut bewährt.
Schließlich ist noch ein neues (weil doppelt geführtes) Fall für das Leichtwindsegel einzuziehen, die Vorsegel müssen angeschlagen werden (wobei wir auf den Klüver verzichten, das ist uns zu viel Mühe für die kurze Zeit), und die Bootspapiere müssen auch noch von der Coast Guard abgeholt werden. Natürlich kommen während all dem auch die Besuche bei der örtlichen Gastronomie nicht zu kurz, zumal es das Wetter überwiegend gut mit uns meint, es ist angenehm warm, in der Mittagssonne sogar schon heiß.
Am Montag den 1. Mai soll es dann endlich losgehen; als es Zeit fürs Ablegen ist, gibt der Anlasser aber nur ein müdes Würgen von sich! Nun ja, die Starterbatterie ist noch vom Vorbesitzer, also schätzungsweise 12 bis 15 Jahre alt, und hat das letzte halbe Jahr nur noch rumgestanden – es sei ihr verziehen. Glücklicherweise hat die Tankstelle gegenüber der Marina Ersatz vorrätig, der allerdings nicht über Schraubterminals verfügt wie die defekte Batterie, und Terminalklemmen haben sie nicht – eine kleine Bastelaktion ist also noch vonnöten, bis die Maschine hochmotiviert gestartet werden kann.
Darüber ist es Mittag geworden, bis wir die Marina verlassen; Sonne gibt es reichlich, Wind eher weniger, weswegen sich eh keine großen Sprünge mehr anbieten, also beschließen wir gleich, es ruhig angehen zu lassen. Unbeschreiblich schön aber, endlich wieder das Wasser glitzern zu sehen, wenn man diesen Anblick so lange entbehren musste! Wir bescheiden uns mit zwei Knoten Fahrt und einem runden Dutzend Seemeilen Distanz bis zum Strand von
Agios Ermogenis
Dieser Ankerplatz, kurz vor der Einfahrt in den Kolpos Geras, bietet nicht viel Schutz gen Süden, aber das ist bei den herrschenden Wetterbedingungen auch nicht wichtig; es läuft kaum Schwell, ein Ausrichten des Bootes vor Anker ist unnötig, und wir verbringen einen ruhigen, ungestörten Abend.
Endlich wieder vor Anker! Kein Stadtlärm, keine Marina-Geräusche, völlige Ruhe, eine gefällige Umgebung – den Strand zieren die dem namensgebenden Heiligen gewidmete Kapelle und eine kleine Taverna – und nach Süden die Weite des Meeres … das hat gefehlt!
Plomari
Am Dienstag ist es etwas bedeckter, aber immer noch sehr freundlich und warm; Wind gibt es allerdings eher noch weniger, so dass wir uns nur ein kleines Stück fortbewegen, um nicht nur auf den Motor angewiesen zu sein. In passender Entfernung bietet sich er Hafen von Plomari an, den wir schon gegen Mittag erreichen.
Zu unserem Erstaunen taucht sogar ein freundlicher Mitarbeiter der Küstenwache auf, der uns umfangreiche Formulare ausfüllen lässt, um uns schließlich eine Zahlungsanweisung – jawohl, ausschließlich per Überweisung, solche Unsummen doch nicht cash! – über sage und schreibe 6 Euro auszuhändigen! Da sage nochmal jemand, der griechische Staat würde nicht auf seine Einnahmen achten 🙂
Plomari ist bekanntlich die Heimatstadt des Ouzo, aber außer der Brennerei gibt es hier noch so einiges zu entdecken, wenn man sich etwas weiter vom Fischerhafen entfernt. Wir landen in einem Viertel mit einladenen Tavernas unter großen, schattenspendenden Platanen und einem sehr nett gemachten Imbiss mit internationalen Köstlichkeiten (im Land des Küchenpatriotismus selten!). Zum Abendessen landen wir dennoch in einem griechischen Traditionslokal, wo wir sechs verschiedene, allesamt mit Liebe gekochte und entsprechend köstliche Gerichte bestellen – und schließlich einschließlich eines halben Liters Wein 18,50 € bezahlen … ja, auch das hat gefehlt: handgemachtes Essen zu mehr als fairen Preisen.
Im Kolpos Kallonis
Mittwochmorgen begrüßt uns zwar wieder die Sonne, aber für den Abend drohen die Wettervorhersagen etwas Regen an, und für den Donnerstag und Freitag sieht es ähnlich aus: wechselnde Windrichtungen, Gewitterrisiko, und ab Samstag dann starker Nordwind. Damit lässt sich nicht wirklich viel anfangen, bei einer Inselumrundung böte sich zu wenig Schutz an der Nordküste, und bei einer Überfahrt nach Chios kämen wir nicht mehr zurück. Also segeln wir gut 20 Seemeilen weiter die Südküste entlang, um die kommenden Tage im Kolpos Kallonis zu verbringen, des westlicheren (und größeren) der zwei ausgedehnten Golfe, die Lesvos unschließt. Die Fahrrinne hinein ist so schmal, dass sie tatsächlich durchgehend betonnt ist – hierzulande nicht gerade ein häufiger Anblick. Ist man dann drinnen, eröffnet sich der Blick über eine 11 Seemeilen weite Wasserfläche, gesäumt von zahlreichen Salinen, ein Paradies für zahlreiche Arten, unter anderem gibt es hier viele Flamingos.
Da uns bei der Einfahrt die ersten, drohend dunklen Wolken verfolgen, biegen wir gleich rechts ab und suchen uns einen Ankerplatz vorm Strand von Nyphida. Kaum ist der Anker im Boden, beginnt es zu regnen – Glück gehabt!
Am nächsten Morgen ist es wieder sonnig, wir verholen uns bei völliger Windstille wenige Seemeilen weiter nach Skala Polichnitou, einem kleinen Fischerort; hier finden wir einen Platz an der Kaimauer mitten zwischen (für griechische Verhältnisse) größeren Fischerbooten, was aber niemanden zu stören scheint, und so beschließen wir, hier auch über Nacht zu bleiben und die örtliche Fischtaverne zu testen.
Für Freitag sind die Gewitter und das langsame Einsetzen des Nordwindes angekündigt, also beschließen wir uns von der ungeschützen Kaimauer zum Nordende des Kolpos, vor den Strand von Skala Kallonis, zu begeben – wieder unter Motor, der sehr schwache Wind kommt schon von vorne.
Samstagmorgen bläst er dann so richtig, der Nordwind; da sich im Golf aber keine bedrohliche Welle aufbauen kann, beschließen wir uns nur unter Kuttersegel wieder gen Süden blasen zu lassen, wo wir kurz vorm Ausgang nochmal einen Ankerplatz mit Nordschutz vor Apothikes finden – hier haben wir 2021 schon mal übernachtet. Landschaftlich sehr schön vor einer Flussmündung gelegen, bietet der Ort perfekten Ankergrund, wie überhaupt der ganze Kolpos: egal wo wir geankert haben, überall bestand der Grund aus einem schweren, zähen Gemenge, in dem der Anker wie einbetoniert liegt (selbst senkrecht aufholen ist nicht einfach!).
Plomari die 2.
Sonntag müssen wir uns dann leider schon wieder auf den Rückweg machen; im Ausgang des Kolpos Kallonis fasziniert uns die kleine Felseninsel Garbias, welche dicht an dicht mit intensiv gelb blühenden Blumen überzogen ist – während man direkt gegenüber an Land nichts von diesen Blüten sieht! Merkwürdig – und hübsch sowieso.
Eine Weile segeln wir die Küste entlang, dann verlässt uns der Wind recht plötzlich, wir müssen also wieder mal den Motor bemühen, um in den Hafen von Plomari zu gelangen. Dass wir hier vor 5 Tagen noch waren, macht uns nicht wirklich was aus, und auch nicht, dass ausgerechnet heute das kleine Restaurant mit den internationalen Köstlichkeiten geschlossen hat; wir essen statt dessen mit Premium-Aussicht über den Hafen im Restaurant einen Gesellschaftsclubs, welcher sich den Lehren des um 1760 in Plomari geborenen Benjamin von Lesbos verschrieben hat – und offenbar auch der guten Küche 😉
Paralia Tsilia
Montagmorgen ergänzen wir noch Vorräte, dann segeln wir weiter gen Osten bis kurz vor den Eingang des Kolpos Geras; hier liegt – gut versteckt – die kleine Ankerbucht vorm Strand von Tsilia, die wir auch 2021 bereits besucht haben und als eine der schönsten Ankerbuchten an der Küste von Lesvos empfinden: am Fuße eines beeindruckenden Berges liegen eine kleine Kapelle sowie Ruinen alter Bruchsteinmauern an einem sandigen Strand. Ziegenglocken sind das einzige Geräusch, vom Summen der Bienen und dem leisen Plätschern der Wellen abgesehen. Paradiesisch!
Skala Loutron
Eigentlich hätten wir gerne noch eine hübsche, aber ziemlich ungeschützte Inselgruppe nördlich von Mytilini besucht, aber mal wieder macht uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung: dort sind für die kommenden Nächste zu kräftige Nordostwinde angesagt, verbunden mit kräftigem Schwell. Um nicht gleich zurückfahren zu müssen, wollen wir noch einmal in Skala Loutron übernachten; auch hier haben wir vor anderthalb Jahren schon mal geankert, nun gehen wir längsseits an der Außenseite des Hafens.
Wir wiederholen unseren damaligen Spaziergang durch die endlosen Olivenhaine bis hinauf ins Dorf Loutra und wieder hinunter nach Skala; dabei begleitet uns die ganze Zeit ein freundlicher Hund, als würde er zu uns gehören. Am Ziel angekommen, leitet er uns zielsicher zur Taverna seines Besitzers, womit gleich auch das Abendessen gesichert ist. Nicht schlecht, was man so einem Tier so alles beibringen kann 😉
Wieder in Mytilini
Am Mittwoch den 10. Mai müssen wir dann leider schon wieder zurück in die Marina; wenigstens können wir unter Code 0 aufkreuzen, in der chronisch windarmen Straße von Mytilini schon eine Ausnahme.
Etwas Trost spendet das Wiedersehen mit unseren Freunden von der ‘Blitz’, mit denen wir so viel Zeit vor drei Jahren im Lockdown auf Ibiza verbracht haben; wir lassen alte Zeiten wieder aufleben und lassen uns zusammen das griechische Essen und Trinken schmecken, mieten auch ein Auto für einen Ausflug in den Westen der Insel. Nebenbei packen wir die Segel wieder ein und machen das Boot fertig für unsere Abreise – das fühlt sich völlig falsch an, während rundherum alle ihre Boote segelfertig machen.
Am Sonntagmorgen geht es dann zum Flughafen, zweieinhalb Wochen waren wir in Griechenland, davon 10 Tage unterwegs, und sind gut 120 Seemeilen gesegelt – hoffentlich können wir bald zurückkehren!