Am Sonntag den 29. Juni verlassen wir gegen Mittag den Hafen von Falmouth – da wir ja an einer Muringboje liegen und der Wind günstig steht, ganz stilvoll ohne Zuhilfenahme des Motors nur unter Segeln, wie es sich für diesen Weltumseglerhafen gehört! Das Wetter ist zumehmend freundlich, es weht ein mäßiger Nordwest, und die ‘Orion’ macht gute Fahrt unter Vollzeug. Recht bald beibt Lizard Point hinter uns, der südlichste Punkt Großbrittaniens, und vor uns liegen gut 100 Seemeilen offenes Wasser.
Der Wind lässt zum Abend hin nach, bleibt uns aber bei rund 10 Knoten Stärke erhalten – nicht genug für aufregende Geschwindigkeiten, aber in Verbindung mit der recht glatten See sorgt das für eine so ruhige und gleichbleibende Lage des Bootes, dass in der Nacht sogar mal an Schlaf zu denken ist. Aber auch die Wache ist nicht langweilig: der inzwischen komplett klare Himmel bietet einen Blick aufs Firmament, wie man ihn an Land mit all den Lichtern der Umgebung nie zu sehen bekommt – die Milchstraße scheint so nah und plastisch, einfach toll! Und zur Krönung kommen auch noch Delfine zu Besuch – auf einmal hört man das laute Ausatmen noch bevor man sie sieht, und dann schnellen ein gutes Dutzend der anmutigen Tiere durch unsere Bugwelle, scheinen fasziniert von dem intensiven roten und grünen Licht, welches die Positionsleuchten auf das Wasser werfen, und begleiten unsere Fahrt einige Minuten.
Am Sonntagmittag kommt Land in Sicht, die bretonische Küste; vorgelagert liegt die Île d’Ouessant, und zwischen dieser und dem Festland befindet sich die Meerenge des Chenal du Four. Nicht überraschenderweise gibt es auch hier wieder starke Gezeitenströme zu berücksichtigen: gegen 16 Uhr, mit Hochwasser Brest, soll der Strom anfangen, gen Süden zu setzen. Wir sind pünktlich da, und freuen uns über 3 Knoten zusätzliche Geschwindigkeit auf dem Weg Richtung Brest.
Dieses lassen wir dann jedoch links liegen, unser Ziel ist der kleine Hafen von Morgat auf der Crozon-Halbinsel; diesen erreichen wir gegen 21:30 am Abend, nach 136 zurückgelegten Seemeilen. Wir übernachten an einer Muringboje vor dem feinen Sandstrand und genießen das Abendlicht auf den Felsen.
Gleich am nächsten Morgen verholen wir uns in den Hafen, der einen Schwimmsteg für Gäste aufweist; als erstes gibt es ein frisches Baguette vom örtlichen Bäcker – wenn eines in England gefehlt hat, dann das!
Später wandern wir in den Hauptort Crozon, um Einkäufe zu erledigen; ein netter kleiner Ort mit bretonischem Flair. Am Nachmittag wird die ‘Orion’ auf die nächste Passage vorbereitet, die Überquerung der Biskaya selbst: Wasser wird aufgefüllt, alles seefest verstaut, und auch das Schlauchboot wird zusammengefaltet, denn es ist durchaus mit etwas ruppigeren Bedingungen zu rechnen. Der Wetterbericht für die nächsten drei Tage verspricht kräftigen Nordostwind der Stärke 5 bis 6, in Böen bis 7. Mal wieder hätten wir auch eine Windstärke weniger genommen, aber stabiler Nordost ist für die Querung der Biskaya einfach perfekt, das kann man sich nicht entgehen lassen – berüchtigt ist das Seegebiet ja vor allem wegen der extremen Wellenhöhen, die enstehen, wenn die Atlantikdünung aus Südwest gegen den aus mehreren 1000 Meter tiefem Wasser schlagartig aufsteigenden Festlandsockel prallt, und das ist bei Nordostwind kein Problem. Also, da müssen wir wohl durch …
So stehen wir also am Dienstag den 2. früh auf, holen noch eine Wettervorhersage und ein frisches Baguette ein, und verlassen dann den Hafen von Morgat mit Kurs Südsüdwest … wobei, während des ganzen Vormittags führt der Weg erst mal nur nach Westen, man muss nämlich an der Île de Sein und den vorgelagerten Felsen vorbei, bevor man nach Süden abbiegen kann. Der Wind kommt dabei zunächst mäßig aus Nord, frischt aber langsam auf; als wir am späten Mittag den Kurs ändern können, wechseln wir vom Vollzeug auf die beidseits ausgebaumten Vorsegel, um mit dieser ‘Passatbesegelung’ vor dem Wind in die Biskaya zu fahren.
Der Wind legt auch tatsächlich zum Abend immer mehr zu, so dass wir gute Geschwindigkeiten um die 7 Knoten laufen; da die Wellen auch Höhen von 2-3 Metern erreicht haben und in sehr kurzer Folge auf das Heck gelaufen kommen, rollt die ‘Orion’ allerdings ganz erbärmlich dabei. An Schlaf ist in der ersten Nacht nicht zu denken …
Eine Abwechslung stellt nach Sonnenuntergang die Begegnung mit der ‘Juan Sebastián de Elcano’ dar, dem Segelschulschiff der spanischen Marine – dem einzigen anderen Schiff im Umkreis von hundert Meilen, und wir müssen noch den Kurs korrigieren, um nicht zusammenzustoßen … phänomenal.
Zum Morgen hin nimmt der Wind deutlich ab; wir halten dies für einen vorübergehenden Effekt, da die GRIB-Daten für den ganzen Tag konstante 6 Beaufort aus Nordnordost versprechen, und unternehmen erst mal … nichts. Die ‘Orion’ rollt munter in den immer noch beachtlichen Wellen, und fährt immer langsamer, da der Wind fehlt. Am Nachmittag wird es immer schlimmer, es braucht dringend mehr Tuch … doch selbst die aktuellen Vorhersagen per NAVTEX kündigen immer noch 6 bis 7 Windstärken mit Böen bis Stärke 9 für die Nacht an – will man da mit Vollzeug reinfahren? Es beginnt also ein beispielloses Segelwechsel-Training: Vorsegelbäume bergen, Groß mit Bullenstander setzen; der Wind legt zu, Groß reffen; der Wind nimmt wieder ab, Groß ausreffen; der Wind kommt zurück, Groß wieder reffen; er lässt wieder nach, ausreffen und Klüver wieder ausbaumen. Nach einigen Stunden unterhaltsamer Bordgymnastik (nicht zu vergessen, das Boot rollt bei all dem wie wild!) zwischen Sorge vor dem Sturm und Kampf mit der Flaute weiß die jüngste NAVTEX-Vorhersage nichts mehr von 9er Böen … also, Klüver ausgebaumt, zur Sicherheit ein Reff ins Groß und Bullenstander gesetzt (alles unter heftigen Verwünschungen auf alle Wetterpropheten dieser Welt, versteht sich), und dabei bleibt es jetzt für die Nacht, komme da was wolle!
Und es kommt tatsächlich, aber nicht mehr, als die sehr stabile ‘Orion’ verkraften kann; bis 25 Knoten steigt der mittlere Wind, eine gute Stärke 6, und das Boot rauscht auf raumem Kurs nur so durch die Nacht; zum Morgen wird es aber schon wieder weniger, und nach Sonnenaufgang schütteln wir das Reff aus dem Großsegel und fahren den Rest des Tages mit angenehmen Kurs zum Wind und guter Geschwindigkeit weiter. Erst am späten Nachmittag verlässt uns der Wind dann ganz, so dass wir die letzten zwei Stunden motoren müssen. Als endlich Land in Sicht kommt, meinen wir uns verfahren zu haben: grüne Wälder über schroffen Felsen, alles in Regen und Nebel verhangen: sind wir etwa in Norwegen gelandet? Aber gegen 19 Uhr erreichen wir den Hafen von Viveiro in der gleichnamigen Ría, wo wir nach 325 Seemeilen und 59 Stunden festmachen und feststellen: wir sind in Spanien!