Aufbruch: Holland und Belgien (11.05. – 27.05.)

Eigentlich sollte der lange Winter ja genügen, um im Frühjahr das Boot reisefertig zu haben, aber irgendwie klappt es doch nie … so auch zum Beginn dieser Saison: die ‘Orion’ hat eine feste  Scheibe für die Sprayhood, eine elektrische Ankerwinsch, einen neuen Decksanstrich und viele Kleinigkeiten mehr bekommen, die uns bis zur buchstäblich letzten Minute in Atem gehalten haben – fast hätten wir die Schleusung in Papenburg verpasst, und dann wollte uns der Schlamm in der Einfahrt nicht gehen lassen; beim Versuch das Boot daraus zu befreien hat sich dann auch noch das Relais des Bugstrahlruders verabschiedet. Aber mit PS-kräftiger Unterstützung der ‘Primavera’ (Danke!!!) haben wir es dann doch noch aus dem Hafen und nach kurzer Fahrt bis

Leer
Ansegeln nach Leer

geschafft. Hier nämlich soll an diesem Wochenende das diesjährige Ansegeln unseres Vereins stattfinden, und so können wir das erste Stück des Weges mit einigen anderen Vereinsbooten zurücklegen und weitere in Leer treffen, die aus Delfzijl angereist sind.

Es wird ein fröhlicher Abend im Clubheim des SV Leer, und am nächsten Vormittag gibt es ein großes Abschiednehmen von den Freunden vom YC Papenburg, die wir einige Zeit nicht wiedersehen werden. Das stimmt schon etwas wehmütig, aber es ist auch schön, vermisst zu werden und etwas zu haben, wohin man eines Tages zurückkehren kann. 

Montagmorgen geht es dann endgültig los,  wir schleusen um 8 Uhr auf die Leda aus und lassen uns vom ablaufenden Wasser Richtung Nordsee ziehen. Etwa bis Eemshaven läuft der Strom mit, dann setzt langsam die Flut ein; laut Wettervorhersage sollte eigentlich ein mäßiger Wind aus Nordnordost dabei helfen, dagegen anzusegeln, leider weiß der aber nichts davon und weht aus Nordwest, sodass noch lange Stunden der Motor laufen muss. Erst kurz vor 17 Uhr biegt das Westerems-Fahrwasser endlich nach Westen ab, und die langersehnte Stille setzt ein. Bei 10 bis 12 Knoten Wind gleitet die ‘Orion’ unter Vollzeug durch die kaum einen Meter hohe See – das hat den ganzen Winter gefehlt!

Sonnenuntergang vor Schiermonnikoog

Das Wetter bleibt freundlich und der Wind gleichmäßig, nun (wo es nichts mehr ausmacht) dreht er auch endlich auf Nordost. Der Abend schenkt uns einen großartigen Sonnenuntergang, und nach einer ruhigen Nacht (sogar ohne unzähligen Fischern ausweichen zu müssen) erreichen wir am Dienstagvormittag

Vlieland
Vlieland voraus!

Schon in der Ansteuerung begegnen wir etlichen Schiffen der ‘Braunen Flotte’, die hier ihre Gäste – meist Schulklassen – abladen. Entsprechend groß ist der Trubel rund um den Hafen und im Ort; mit dem Ablegen der Plattbodenschiffe kehrt aber Ruhe ein, und man sieht dass sich um diese Jahreszeit noch nicht viele Urlauber und Yachten auf die Insel verlaufen haben, die Marina ist praktisch leer.

Vlieland ist bekanntlich ein attraktives Ziel, und so bleiben wir gerne etwas länger, auch um den Zeitdruck der letzten Wochen langsam abzubauen. Das Wetter ist perfekt, strahlend stellt die Sonne Strand, Wald und Dorf in ihren schönsten Farben dar; nur recht kalt ist es, der Wind weht nach wie vor aus Nordost. Wir laufen lange am Strand entlang, lassen uns den ersten Kibbeling schmecken und decken uns mit holländischen Spezialitäten ein.

Harlingen

Am folgenden Donnerstag ist uns erst mal nicht klar, wie es weitergehen soll; eigentlich stünde eine Fahrt übers Wattenhoch nach Texel auf dem Programm, aber dafür ist die Tide einfach zu ungünstig: man müsste entweder mitten in der Nacht losfahren oder ankommen, beides nicht so attraktiv. Also entscheiden wir uns um und brechen am frühen Nachmittag, eine Stunde nach Niedrigwasser, mit Ziel Harlingen auf. Es weht ein frischer Wind, 5 bis 6 Beaufort aus Nordost sind vorhergesagt, 6 bis 7 messen wir dann. Im – eigentlich berüchtigten – Seegatt ‘Stortemelk’ läuft es noch ganz gut, später im ‘Blauwe Slenk’ wird es aber echt ungemütlich, als 30 Knoten Wind von vorne drücken und drei Knoten Strom von hinten schieben, die ‘Orion’ wird der Länge nach mit Wattenseewasser gespült.

Harlingen, altes Rathaus

Aber irgendwann ist auch das überstanden, und am frühen Abend laufen wir in Harlingen ein, wo sich auch gleich die Brücke öffnet, die uns in den Noorderhaven einfahren lässt. Hier liegt man mitten im Zentrum der alten und geschäftigen Hafenstadt, direkt vor dem barocken Rathaus aus dem 18. Jahrhundert. Duschen gibt es auch, und das ist gut so, denn auch der Steuermann hat eine Menge Salzwasser abbekommen.

Am nächsten Morgen laufen wir noch bis zum Fischereihafen, bestaunen die gewaltig großen Schäkel und Blöcke im Fischereiausrüstungsladen (CIV) und kaufen fangfrische Seezunge fürs Abendessen. Am späten Vormittag verlassen wir dann Harlingen und machen uns auf den Weg ins Ijsselmeer.

Medemblik
Medemblik: Windmühle am Stadtrand …

Erst geht es am Deich entlang bis zur Schleuse in Kornwerderzand, wo wir gegen Mittag zusammen mit zwei anderen Booten ins Ijsselmeer gehoben werden. Vor dort aus sind es noch 20 Seemeilen bis Medemblik, und obwohl der Himmel bedeckt ist und immer mal ein Schauer droht, segelt sich die Strecke sehr angenehm, mit halbem Wind der Stärke 4 ist die ‘Orion’ nämlich bestens zufrieden und läuft unter Vollzeug mit über 6 Knoten ihrem Ziel entgegen.

… und der perfekte Liegeplatz

In Medemblik entscheiden wir uns einen Tag zu verweilen, denn erstens ist das Wetter am Samstag sonnig und windstill, zweitens die Stadt bei Sonnenschein sehr attraktiv (erst recht, wenn man einen der Liegeplätze vor dem um 1288 erbauten ‘Kasteel Radboud’ ergattern kann), und drittens wartet beim Hafenmeister das Paket mit den Ersatzteilen fürs Bugstrahlruder, so dass auch endlich mal wieder repariert werden kann 🙂

Enkhuizen

Am Sonntag ziehen wir dann weiter, nach einem dem Tag angemessenen Frühstück versteht sich; besonders eilig haben wir es nicht, denn bis zum nächsten Ziel Enkhuizen sind es nur 11 Seemeilen. Erfreulicherweise hat sich der Wind wieder eingefunden und bläst nun aus Nord mit 4 bis 5 Beaufort – wieder halber Wind, und staunend sehen wir bis zu 7.5 Knoten auf dem GPS! Unter den geschützten Bedingungen des Ijsselmeers lernen wir ganz neue Geschwindigkeiten kennen … 

Enkhuizen: Einfahrt in den Oude Haven

So erreichen wir gegen Mittag Enkhuizen; schon bei der Einfahrt kann man einen Blick in den historischen Stadtkern werfen. Wir freuen uns einen Liegeplatz im Buitenhaven gleich am Rande des Zentrums zu bekommen; hier ist man mit wenigen Schritten mittendrin und liegt dennoch recht ruhig. Zum Stadtrundgang kommt auch noch ein wenig die Sonne heraus, was will man mehr!

Enkhuizen wirkt etwas städtischer als Medemblick, verfügt über unzählige tolle, alte Häuser aus dem 16. und 17. Jahrhundert mit prachtvollen Giebeln, und natürlich etliche über die ganze Stadt verteilte Häfen, vom Compagnieshaven mit Hunderten von Yachten im Nordosten bis zum Krabbershaven im Südwesten, wo zahlreiche Schiffe der Braunen Flotte liegen.

Hoorn

Montagmorgen ist es leider schon wieder trüb und bedeckt, als wir Enkhuizen verlassen; Tagesziel ist das nur 12 Seemeilen entfernte Hoorn. Auf dem Weg liegt aber zunächst mal das 2003 fertiggestellte Krabbergat-Naviduct, eine weltweite Besonderheit: hier wird der Schiffsverkehr in einer Art Betonwanne durch eine Schleuse und gleichzeitig über eine vielbefahrene Straße geführt, welche dem Deich zwischen Ijssel- und Markermeer folgt. Früher gab es nur eine normale Schleuse mit Klappbrücke, aber die zahlreichen Öffnungen stellten eine zu große Behinderung des Straßenverkehrs dar, sodass man sich zu diesem kostspieligen Bauwerk entschlossen hat.

Hoorn vom Wasser aus gesehen; markant der Hoofdtoren von 1532

In Hoorn angekommen, betreten wir mal wieder geschichtsträchtigen Boden: die Stadt war einer der Stützpunkte der 1602 gegründeten Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC), der Handelsgesellschaft welche das Monopol auf den Handel mit den niederländischen Kolonien in Südostasien innehatte. Diese hatte im Laufe von zwei Jahrhunderten ca. 4700 Schiffe unter ihrer Flagge fahren und brachte den Niederlanden unermesslichen Reichtum – weniger Glück hatten selbstredend die Ureinwohner der Kolonien. 

Das Statencollege von 1632 beherbergt heute das Westfriesische Museum

Auch das berühmt-berüchtige Kap Hoorn verdankt seinen Namen der Stadt Hoorn: der niederländische Seefahrer Willem Cornelisz Schouten beschrieb am 29. Januar 1616 erstmals den südlichsten Punkt Südamerikas und benannte ihn nach seinem Geburtsort.

Heute ist Hoorn eine geschäftige Einkaufsstadt mit etwa 73.000 Einwohnern, in deren Stadtbild noch zahlreiche Gebäude von der großen Vergangenheit zeugen; die zahlreichen Hafenbecken dienen allerdings nur noch der Freizeitschiffahrt, einen Handelshafen mit Warenumschlag gibt es nicht mehr.

Marken
Im Hafen von Marken

Mit kräftigem Rückenwind geht es am Dienstag einen kleinen Schlag Richtung Süden nach Marken; die ehemalige Insel (seit 1957 durch einen Deich mit dem Festland verbunden) beherbergt ein sehr kleines – ebenfalls ehemaliges – Fischerdorf sowie unzählige Touristen. Zweifellos ist es am Hafen mit seinen alten Holzhäusern ganz nett, aber was eine Million Besucher im Jahr – wie es scheint hauptsächlich Südländer, die verfroren und verloren durch die Straßen ziehen – hier wollen bleibt uns etwas verborgen …

Amsterdam

Für die kommenden Tage steht nun Kontrastprogramm an: nach dem Dörfchen Marken führt uns der Weg in die Großstadt Amsterdam. Das allerdings zunächst mal unter Motor, denn der uns seit Tagen begleitende kräftige Wind hat sich ausgeweht. Ein Gutes bringt das aber mit sich: ab Mittag, als wir durch die Oranjesluizen ins IJ schleusen, kommt langsam aber sicher endlich mal wieder die Sonne heraus.

Wir steuern den Sixhaven an, der am Nordufer des IJ direkt gegenüber des Hauptbahnhofs liegt; unmittelbar östlich und westlich des Hafens pendeln kostenlose Fähren rund um die Uhr zum Hauptbahnhof. So liegt man recht günstig und ruhig und dennoch in perfekter Ausgangslage für einen Stadtbummel; wir freuen uns über den guten Tipp, der uns hierhin geführt hat! Noch bevor wir uns am nächsten Tag in die Stadt stürzen wartet aber auch am Mittwoch noch ein besonderes Erlebnis: Einkaufen im nahegelegenen Jumbo-Supermarkt, der eine ganze ehemalige Hafenhalle einnimmt und sowohl vom Ambiente wie auch vom Angebot keine Wünsche offen lässt.

Am Donnerstag nehmen wir dann die Fähre und setzen in die Innenstadt über. Die Sonne scheint, und Amsterdam zeigt sich von seiner besten Seite: sehr lebendig und vielfältig, aber dennoch nicht zu laut und stressig. Egal wohin man geht, überall laden Straßen und Grachten zum Schauen und Cafés zum Verweilen ein – hier gefällt es uns! Einzig den Tag zu überstehen ohne von einem der tausenden Radfahrer überfahren zu werden ist eine gewisse Herausforderung …

So laufen wir viele Stunden auf und ab durch die Stadt, stöbern auf dem Flohmarkt, amüsieren uns über den aus den zahllosen Coffeeshops auf die Straßen flutenden Duft, genießen perfekt zubereiteten Cappuccino mit Blick auf die Grachten und freuen uns endlich, erschöpft zurück zum Sixhaven auf die ‘Orion’ zu kommen.

Scheveningen
Scheveningen voraus!

Am Freitag geht es schon früh los, den heute stehen ein paar Meilen mehr auf dem Programm: zunächst 15 durch den Noordzeekanaal bis Ijmuiden, dort durch die Schleusen zurück auf die Nordsee und dann nochmal gut 25 Meilen immer am Strand lang bis Scheveningen.

Die Fahrt durch den Kanal ist eher ereignislos und die Umgebung doch recht industriell geprägt, durch die der zahlreichen Berufsschiffahrt ständig zu widmende Aufmerksamkeit vergeht die Zeit aber doch recht schnell; die Schleusung ist wie immer in Holland völlig problemlos, und wir freuen uns wieder auf der Nordsee zu sein.

Strandpromenade und Pier

Zunächst will der Wind noch nicht so recht und die Tide läuft noch entgegen, aber gegen Mittag ändert sich das, und bei 10 bis 12 Knoten Wind aus Nordwest und strahlendem Sonnenschein lassen wir die Küste vorbeiziehen, bis wir am frühen Nachmittag Scheveningen erreichen. Das inzwischen zu Den Haag gehörende ehemalige kleine Fischerdorf hat sich zum größten Seebad der Niederlande entwickelt – und so in etwas fühlt es sich auch an: um einen unscheinbaren Ortskern herum sind gigantische Hotel- und Gastronomiekomplexe entstanden; sogar eine Seebrücke mit Riesenrad gibt es, ganz im Stil der britischen Seebäder. Für uns ist der Ort nun keine rechte Attraktion, aber der Yachtclub Scheveningen hat einen sehr netten Hafenmeister und Gästeplätze für müde Segler, außerdem gibt’s am quirligen Hafen natürlich eine Kibbeling-Bude, was will man also nach einem langen Tag auf See mehr …

Zeebrugge / Brugge

Samstagmorgen geht es noch früher weiter als am Tag zuvor, es steht nämlich ein wirklich langer Schlag bevor: Zeebrugge in Belgien ist der Zielhafen. 66 Seemeilen sind zurückzulegen, und dazwischen gibt es auch nicht wirklich eine Möglichkeit, einen Zwischenstopp einzulegen. Ursache dafür sind die niederländischen Deltawerke, mit denen in den 70er und 80er Jahren das Rhein-Maas-Delta sowie die Oosterschelde durch Dämme vom Meer abgetrennt wurden; der Zugang zu allen Häfen innerhalb ist seitdem nur noch durch Schleusen möglich, was doch einen großen Aufwand und Zeitverlust mit sich bringt.

Blick über den Hafen von Zeebrugge

Wir legen also die Strecke in einem Stück zurück, und das auch noch unter Motor, auf Wind wartet man nämlich an diesem Tag vergeblich; entsprechend froh sind wir, am Abend Zeebrugge zu erreichen. Hier erwartet und ein sehr bemühter Hafenmeister – und sonst nicht viel. Zeebrugge wurde erst um 1900 als Hafenstandort gegründet, und entsprechend ist es hier auch: ein gigantischer Industriehafen, ein paar Häuser hinter der Schnellstraße und natürlich eine ‘Frituur’, damit hat es sich.

Am Sonntag gibt es kräftigen Gegenwind, also bleiben wir im Hafen und packen die Fahrräder aus, um ins knapp 20 Kilometer entfernte Brügge zu fahren; eigentlich wollten wir das per Boot über einen Verbindungskanal tun, doch dann sind wir per Zufall darüber gestolpert dass man zum Befahren der belgischen Binnengewässer eine 40 Euro teure Vignette braucht, was auch streng überprüft wird- für 12 Kanalkilometer etwas zu teuer.

Brugge – oder auf Deutsch Brügge – ist das genaue Gegenteil von Zeebrugge: eine Stadt, die eine reiche Geschichte vorzuweisen hat. Das Stadtrecht wurde 1128 verliehen, und im 13. bis 15. Jahrhundert blühte der Handel auf, auch die Hanse unterhielt ein Kontor in Brügge. Hilfreich dabei war, dass die Stadt damals noch über einen Meeresarm direkten Zugang zur Nordsee hatte; zum Ende des 15. Jahrhunderts versandete dieser, und die goldenen Zeiten waren vorbei. Erhalten sind aber zahllose steinerne Zeugen dieser Zeit: ein Spaziergang durch Brügge gleicht dem Besuch eines Freilichtmuseums. Begleitet wird man dabei von Zehntausenden von Touristen und abwechselnd – manchmal auch gleichzeitig – dem Duft von frisch gebackenen Waffeln und fachgerecht frittierten Pommes. 

Nieuwpoort

Am Montag weht der Wind wieder (etwas) günstiger, und wir verlassen Zeebrugge zum letzten Schlag in belgischen Gewässern; 34 Seemeilen kreuzen wir auf bis Nieuwpoort. Dabei ziehen Badeort um Badeort an uns vorbei, gehen von See aus betrachtet beinahe nahtlos ineinander über, zugebaut mit gigantischen Hotelklötzen; so erscheint die belgische Küste wie ein einziger langer Plattenbau.

Auch Nieuwpoort bietet wenig mehr als einen Platz zum Übernachten; nach einem kurzen Spaziergang durch die Stadt am nächsten Tag brechen wir in Richtung Frankreich auf!