Rafina – Mytilini (05.06. – 30.06.)

Marmari / Evvia

Noch am Dienstagabend verlässt die ‘Orion’ den unruhigen Hafen von Rafina, um wenige Kabellängen daneben vorm Strand zu ankern; hier ist es wesentlich ruhiger, aber auch recht ungeschützt – bei nennenswertem Wind (den wir zum Glück nicht haben) wäre auch das kein guter Ankerplatz. Am Mittwochmorgen geht es dann zurück nach Marmari; Dank der guten Fährverbindung zwischen Rafina und Marmari eignet sich dieser Hafen viel besser zum Warten, und diesmal gibt es sogar einen Längsseitsplatz an der Fischerpier.

Die Wartezeit bis Freitag vergeht ereignislos – es ist auch so warm, dass selbst an Bootsarbeiten kaum zu denken ist; Freitagabend finden wir uns noch eine schöne Taverna, und dann kann es endlich weitergehen!

Paralia Kastri / Evvia

Die Flaute ist seit Donnerstag schon vorbei, es weht wieder kräftiger Nordwind – heiß ist es aber unverändert, es fühlt sich an wie vor einem riesigen Fön zu stehen 🙂

Anwesen am Strand von Kastri – hier könnte man wohl auch leben …

Da wir erst mal nach Süden wollen, stört uns der kräftige Wind nicht; nur unter Klüver rauschen wir an der Küste von Evvia entlang. Ziel ist die einsame Ankerbucht Paralia Kastri nahe der Südostpitze der Insel; diese verspricht nicht nur guten Schutz vorm Nordwind, sondern auch eine ideale Ausgangsposition um am nächsten Tag die Straße von Kaphireas zu passieren! Als wir das zuletzt vor fast genau drei Jahren getan haben, herrscht nämlich ziemliche Flaute, und wir mussten endlos motoren; das soll uns diesmal nicht passieren! Für den Sonntag ist nämlich nachlassender Wind angesagt, nur noch 12 bis 14 Knoten sollen es sein; natürlich von vorne, denn unser Ziel Skyros liegt genau nördlich, und das ganze 50 Seemeilen; aber gegen  Windstärke 4 sollte man doch wohl aufkreuzen können, auch wenn es ein langer Tag wird …

Batsi / Andros

Was den nächtlichen Schutz betrifft, geht unser Plan auf, wir verbringen eine gute Nacht vor Anker; es ist auch endlich weniger heiß unter Deck als im Hafen, da sich das Boot ja freundlicherweise immer mit dem Wind ausrichtet und ein Luftzug durch die Vorschiffluke kommt.

Ganz anders sieht es mit unseren Segelplänen aus: wir sehen zwar schon vom Ankerplatz aus eine Menge weiße Wellenkronen draußen auf See, aber alle Wettermodelle sagen doch nur 4 Beaufort … also Anker auf und raus! Kaum verlassen wir aber den Schutz der Bucht, bekommen wir es furchbar auf die Nase: nicht nur, dass der Windmesser zwischen 25 und 30 Knoten schwankt  (also 6 Böen 7), auch die Wellen sind beeindruckend, und als Zugabe setzt ein Strom von gut 2 Knoten gen Süden – also uns entgegen. Wir wenden tapfer mit stark gerefftem Groß und Kuttersegel den Bug gegen die Elemente und machen auch ganz gut Fahrt (bis uns die nächste große Welle aufstoppt jedenfalls) – aber der Blick auf den Plotter bringt die Ernüchterung: wir bewegen uns kein Stück Richtung Norden, der Gegenstrom frisst unsere gewonnene Höhe auf, und wir segeln praktisch auf der Stelle – allerdings äußerst nass und unkomfortabel. Wäre die Kaphireas-Straße nur ein paar Kabel lang, könnte man sich das ja noch geben, aber es ist abzusehen, dass sich diese Bedingungen auf den nächsten 13 Seemeilen halten werden (und dann liegen ja immer noch 40 Seemeilen normales Kreuzen vor uns) – das hat keinen Sinn!

Heute die bessere Wahl: Ankerplatz vor Batsi

Wir brauchen keine Viertelstunde, um zu entscheiden, dass wir den Versuch abbrechen – und die eigentlich auch nur für die Frage, ob wir zurück in die Ankerbucht fahren oder quer über die Kaphireas-Straße nach Andros; da der Hafen von Batsi damals so nett war, entscheiden wir uns für die letztere Option. Was für eine Erlösung, um 90 Grad abfallen zu können! Das Boot beschleunigt auf 7 Knoten und pflügt nur so durch die Wellen – so herum macht Starkwind ja Spaß 🙂

Batsi – auch auf den zweiten Blick ein netter Ort

Da wir früh aufgebrochen und nun schnell unterwegs sind, erreichen wir schon  um 11 Uhr Batsi; der Hafen ist schon voll – oder besser gesagt noch, den jeder vernünftige Mensch harrt hier an einem solchen Tag aus … wir ankern also vorm Strand, was uns bei der Hitze aus den eben genannten Gründen sogar lieber ist.

Am Montagvormittag können wir noch im Ort einkaufen und Freddos trinken, während der Wind immer mehr nachlässt; für den späten Nachmittag ist eine Drehung auf Süd angesagt, und die wollen wir nutzen!

Paralia Kolybada / Skyros

Tatsächlich können wir bald nach dem Ablegen den Motor stoppen und unter Code 0 gen Norden segeln – wir sind hoch erfreut! Gegen 23 Uhr, am nördlichen Ausgang der Kaphireas-Straße, legt der Südwest sogar so weit zu, dass wir den Code 0 unter einigen Mühen bergen und auf den Klüver wechseln. Die Arbeit hätten wir uns schenken können, denn 10 Minuten später ist der Wind weg – und bleibt es. Die ganze Nacht verbringen wir damit, abwechselnd zu motoren oder mit dem Leichtwindsegel bei einem Knoten Fahrt über die glatte See zu dümpeln – angeblich sollen hier irgendwo 8 Knoten Südwest wehen … nun, wer sie noch findet, kann sie behalten, wir jedenfalls entscheiden bei Sonnenaufgang, die restlichen 25 Meilen zu motoren.

In Verbindung mit den völlig falschen Vorhersagen vom Vortag dämmert uns die Erkenntnis, dass offenbar kein Wettermodell die lokalen Besonderheiten der Kaphireas-Straße modellieren kann: die Windstärke hier beträgt wohl immer das Doppelte der allgemeinen Vorhersage. Das macht es bei mäßigem Gegenwind draußen unmöglich, die Meerenge zu passieren, und bei schwachem Rückenwind geht dem Wind bald die Puste aus. Offenbar kann man die Strecke nach Skyros nur bei Flaute motoren – wir haben das nun zum zweiten Mal getan.

Erholsam nach der Nachtfahrt: Paralia Kolybada

Völlig übernächtigt erreichen wir gegen Mittag einen schönen, völlig einsamen Ankerplatz auf Skyros, Paralia Kolybada. Hier können wir zur Wiederbelebung ins Wasser springen, welches hier schon 24° hat, ein deutlicher Sprung nach oben gegenüber 21° auf Andros. Das Wasser ist kristallklar, der Strand besteht aus feinem Kies in bunten Farben, und an den Berghängen ziehen sich ganze Oleanderwälder blühend bis hinunter zum Ufer – wunderschön! Und in der Nacht geht eine leise Brise durchs Boot, wir können gut schlafen, begleitet von vereinzelten Rufen der Ziegen und dem Konzert einer Myriade Zikaden.

Linaria / Skyros

Gut erholt lichten wir am Mittwochvormittag den Anker und verholen uns unter Motor – wie erwartet regt sich kein Lüftchen – in den nur drei Seemeilen weit entfernten Hafen von Linaria, der von der Gemeindeverwaltung als Marina betrieben wird; das führt zu höheren Preisen als der übliche Gemeindetarif, aber dafür wird auch echt was geboten (mehr als in jeder nichtöffentlichen Marina): Kostas der Hafenmeister ist mit Herzblut bei der Sache und begrüßt jedes Boot bei der Annäherung von seinem Porttender aus, weist die Boote ein und hilft; es gibt umfangreiches Infomaterial, eine echte Abfalltrennung (in Griechenland eine Sensation), Strom und Wasser inklusive – und natürlich die ägäisweit berühmte Disco-Dusche 🙂 Wir freuen uns sehr, nach drei Jahren wieder hier zu sein!

Diesmal können wir auch für den nächsten Tag einen Leihwagen bekommen um das Inland zu erkunden – damals war Pfingsten und absolut kein fahrbarer Untersatz mehr verfügbar. Wenn es doch nur nicht so heiß wäre! Die Nacht an Bord ist unerträglich, kein Windhauch bringt die Hitze aus dem Boot. Wir freuen uns also auf die Klimaanlage im Auto, aber selbst die kommt kaum gegen die Sonneneinstrahlung an … aber was hilft es, wir wollen was von der Insel sehen!

Deren Südhälfte ist karg und völlig unbewohnt, die Nordhälfte dagegen recht grün und mit Pinienwäldern bedeckt; da Bäume hier ja Mangelware sind, wollten wir uns das doch mal aus der Nähe anschauen! Der Duft und die Farben sind hinreißend, aber selbst im Wald ist es zu heiß für einen Spaziergang, und wir lassen die Gegend im Auto auf uns wirken …

Pinienwälder über Ormos Pevko

Unvermeidlich ist natürlich ein Ausflug in die wirklich außergewöhnlich hübsche Chora – wieder sind wir erstaunt, dass Skyros bei den Urlaubern so wenig bekannt ist. Aber die Erreichbarkeit ist eben ein Problem – selbst für Segler, wie wir feststellen mussten. Von Kymi auf Evvia gibt es eine tägliche Fähre, aber auch da muss man ja als Ausländer erst mal hinkommen – von Athen eine kleine Himmelfahrt. Aber vielleicht ist das auch gut so, sonst wäre hier ja viel mehr los 😉

Im Klosterhof von Agios Georgios Skyrianos

Trotz der Hitze steigen wir natürlich auch nochmal auf den Burgberg; belohnt wird das durch den Ausblick und das auf dem Weg gelegene sehr hübsche Kloster Agios Georgios Skyrianos, dessen Innenhof eine schattige Oase in der umgebenden Bruthitze darstellt. Aber ansonsten ist es wirklich so feucht-warm, dass wir lieber bei einem Freddo abhängen als noch endlos durch den Ort zu laufen …

Überall blüht der Oleander auf dem Weg zum Stausee

In die Natur wollten wir aber auch unbedingt noch, und so finden wir noch eine kurze Wanderung durch ein tiefes, relativ schattiges Tal zum kleinen Stausee der Insel; hier rinnt sogar etwas Wasser entlang, und überall blüht der Oleander  – schön, dass wir diesen Weg noch entdeckt haben!

Zurück in Linaria gibt es eine lange Dusche und später noch ein köstliches Abendessen, bevor wir uns zu einer weiteren, schlaflosen Nacht an Bord begeben – ohne Wind ist es einfach nicht auszuhalten!

Ormos Glyphadha / Skyros

Freitagvormittag erledigen wir noch allerlei Besorgungen in Linaria, nutzen den kostenlosen Landstrom um für’s Abendessen vorzukochen, trinken noch einen Freddo mit dem Hafenmeister – und dann sind wir aber auch froh, die Marina verlassen zu können. So nett und gastfreundlich es hier auch ist – bei der Hitze ist es vor Anker viel besser auszuhalten!

Traum in Blau: Ormos Glyphadha

Wir wollen uns an die Südostküste von Skyros verholen, auf der vorgelagerten Insel Sarakino gibt es eine wunderschöne, einsame Ankerbucht, Glyphadha; und kaum haben wir den Hafen verlassen kommt auch Wind auf, und wir können die rund 10 Seemeilen dorthin sogar segeln. Als wir in die Bucht einlaufen, liegt ein Ausflugsboot darin und schränkt unseren Ankerraum deutlich ein; kurze Zeit später legt es aber ab, und wir haben die Bucht für uns allein. Sehr klares Wasser, viel Sand, schöne Felsen – und zum Abend ein toller Sternenhimmel, der den Wetterumschwung belegt: endlich wieder Nordwind!

Psili / Antipsara

Auf den haben wir auch gesetzt: nach einer endlich mal brauchbareren Nacht lichten wir früh den Anker, denn vor uns liegen mehr als 45 Seemeilen am Wind quer über die zentrale Ägäis; unser Ziel ist die kleine Insel Antipsara, welche gemäß den griechischen Namenskonventionen Psara vorgelagert ist. Wir starten mit einem Reff im Groß, denn immerhin erwarten wir 5 bis 6 Windstärken; die bekommen wir auch, aber zunächst eher aus Nordost als aus Nord – nicht so gut. Sobald wir aber die Ablenkungszone von Skyros verlassen, verbessert sich die Windrichtung, und wir können mit 70 Grad am wahren Wind auf’s Ziel zusegeln. Die Stärke schwankt etwas, mal geht es auf 4 runter, dann aber wieder gibt es ordentliche Böen; da wir im Schnitt über 5 Knoten fahren, belassen wir es bei dem Reff, wir sind ja auch so früh genug da!

Es wird ein sehr schöner Segeltag, die Lufttemperatur übersteigt auch auf offener See 30 Grad, aber mit dem Wind lässt es sich aushalten; es steht durchaus eine beachtliche Welle (weiter im Norden muss es heftiger wehen), und die ‘Orion’ freut sich über den gemäßigten Windwinkel und pflügt nur so durch die tiefblaue und in der Sonne glitzernde See – so macht das Spaß!

Abendhimmel über Antipsara

Antipsara ist völlig unbebaut und -bewohnt – Natur pur! Wir ankern in einer ausgedehnten Bucht mit geringen Wassertiefen vor einer fast dünenartigen Sandlandschaft (hier eher ungewöhnlich); nach Süden wird die Bucht fast umschlossen von kleineren Felseninseln, die gerade noch einen Blick auf die Küste von Chios am Horizont freigeben – und auf einen Abendhimmel in den unbeschreiblichsten Farben!

Paralia Spitalia / Psara
Ankern vor Psara

Am nächsten Morgen verholen wir uns auf die große Schwesterinsel Psara – stolze drei Seemeilen, die hätten wir auch am Vortag noch geschafft, aber wir wollten unbedingt auch mal auf Antipsara übernachten! Der kleine Hafen des gleichnamigen Hauptortes hätte sogar noch Platz für uns, aber nur mit Buganker und Heckleinen genau quer zum Wind, der mit gut 20 Knoten über das Hafenbecken fegt – lieber doch nicht, so gut wie unser Langkieler bei starkem Seitenwind rückwärts fährt. Aber der Ankergrund ist sehr schön und sicher, und die Entfernung zum Ort mit dem Dinghi beträgt wenige Minuten Fahrt.

Alles sehr ruhig im Dorf von Psara

Die sehr karge Insel Psara zählt nur wenige hundert Einwohnter und wird als ‘vom Tourismus noch nahezu unberührt’ beschrieben – das können wir bestätigen, Umgangssprache in den Lokalen ist noch Griechisch, und sehr zahlreich sind diese auch nicht. Die einzige Einkaufsmöglichkeit hat geschlossen (gut, es ist ja auch Sonntag – aber viel, und vor allem frische Ware, hätte es da in der Woche auch nicht gegeben), und von den drei existierenden Tavernas hat auch eine zu und eine ist eher ein Souvlaki-Grill. Aber Psara hat auch ganz andere Zeiten gesehen: früher lebten hier 15.000 Menschen, und die Insel war Heimat eine der größten Handelsflotten des Landes. Das änderte sich im Juni 1824, als die osmanische Flotte die Insel verwüstete und die Bevölkerung quantitativ massakrierte oder in die Sklaverei verkaufte; 17.000 Einwohner fielen dem zum Opfer, viele davon Flüchtlinge vom Massaker auf Chios zwei Jahre zuvor. Offiziell handelte es sich um eine Vergeltungsaktion für die Versenkung des osmanischen Flaggschiffs durch griechische Freiheitskämpfer –  Massaker an der Zivilbevölkerung als Antwort auf militärische Aktionen scheinen eine Standardmethode der Osmanen gewesen zu sein, welche die bis heute anhaltende Beliebtheit der Nachbarn im Osten erklärt.

Erst seit 1912 ist die Insel wieder in griechischer Hand, konnte aber nie wieder an frühere Bevölkerungszahlen anknüpfen; das tragische Ereignis ist tief verwurzelt im Gedächtnis der Einwohner, überall sieht man die Flagge von Psara wehen, welche praktisch identisch mit der aus Revolutionszeiten ist. Der Freundlichkeit der Menschen tut das keinen Abbruch (wir sehen ja auch nicht türkisch aus 😉 ), uns gefällt es ausnehmend gut hier, und freuen uns, dass unsere kläglichen Versuche ein paar Worte Griechisch zu sprechen nicht gleich in flüssigem Englisch beantwortet werden – und nur eine Taverna erleichtert doch die Auswahl für’s Abendessen ungemein (wobei auch dort die Hälfte der Gerichte nicht erhältlich ist – es ist Sonntag, und die Fähre aus Chios muss erst mal neue Frischware bringen …)!

Oinoussa / Oinousses

Für die anbrechende Woche hatten wir eigentlich schon ausgearbeitete Pläne: der Nordwind sollte noch drei, vier Tage zunehmend kräftig wehen und dann wieder neuer Flaute weichen; in der windigen Phase wollten wir zum Südende von Chios ablaufen, dort gibt es wunderbare Ankerplätze für egal welchen Meltemi, und danach dann an der Ostseite wieder gen Norden segeln. Die letzen Aktualisierungen der Wettermodelle haben uns das ‘danach’ aber leider gestrichen – der Nordwind wird immer nur stärker. Damit kämen wir nicht mehr östlich von Chios hoch, also müssen wir unsere Wunschziele streichen und direkt die Oinousses anlaufen – eigentlich viel zu früh für unsere Planung. Aber wenigstens sollte der heutige Wind dafür noch perfekt sein: N um 3-4, später NW-drehend und zunehmend 4 bis 5.

Der Profitis Elias (1297 m) überragt Chios

Und mal wieder erleben wir unser blaues Wunder mit den Windvorhersagen: weil mäßiger Nordwind erst noch einen Amwindkurs darstellt, setzen wir natürlich das Groß – im ersten Reff, eigentlich schon eine übertriebene Vorsichtsmaßnahme. Wir segeln so auch drei Stunden schön und zügig auf Chios zu, aber als wir die Küste erreicht haben und der Wind eigentlich zunehmen sollte, ist er stattdessen – weg, und zwar so gründlich, dass wir über zwei Stunden motoren müssen! Nichtsdestotrotz laufen aus der offenen See Wellen aus Nordwest heran, die zu 4 bis 5 Beaufort passen – nur, wo bleibt der Wind? Offener Seeraum über hunderte Meilen, Abdeckung ist da keine … ist der großräumige Wind doch nördlicher und wird von Lesvos geschluckt? Niemand weiß es …

Jedenfalls sind wir froh, als am frühen Nachmittag der Wind endlich wieder einsetzt – aus West statt Nordwest, aber gut, das soll uns ja auch recht sein. Er legt auch bald auf die versprochenen 4-5 zu … und weiter auf 6-7! So kesseln wir mit siebeneinhalb Knoten vor dem Wind mit weit offenem Groß und Klüver auf die Passage zu den Oinousses zu – nur, was wird da der Wind machen? Normalerweise fokussiert er sich, Chios hat hohe Berge im Norden  … Groß bergen bei 35 Knoten und Hackwelle? Nun, genau so kommt es – wir suchen uns etwas Schutz unter einem dicken Felsbrocken dicht unter der chiotischen Küste und zerren unter lautem Fluchen auf die Windvorhersage das Tuch herunter 🙁

Im Hafen von Oinoussa

Endlich im Hafen der Hauptinsel Oinoussa angekommen finden wir Schutz und einen Liegeplatz längsseits mit dem Bug gen Nordwesten; perfekt, da geht Wind durchs Boot, denn es ist schon wieder verdammt heiß – die sinkenden Temperaturvorhersagen erweisen sich als genauso leere Versprechungen wie die mäßigen Windvorhersagen. Wir bezahlen erst mal für zwei Nächte (14 € insgesamt …), wir haben ja jetzt alle Zeit der Welt, und auch wenn wir bei den Temperaturen keine großen Ambitionen haben, wie im vergangenen Oktober die Insel zu erwandern, ist es hier einfach total schön – der von Inseln umschlossene Naturhafen ist einer der bestgeschützen und schönsten Häfen weit und breit, und der Ort wirklich hübsch und nicht sehr stark frequentiert – ein echter Geheimtipp, wie irgendwie alles hier oben, wenn man mit dem viel volleren Dodekanes oder gar den ziemlich mit Charterern überlaufenen Kykladen vergleicht.

Tatsächlich hängen wir den gesamten Dienstag eigentlich nur ab – nach einer Bergtour hoch zur Bäckerei im Hang sind die Energiereserven verbraucht! Es gibt Freddos auf der Seefront direkt vorm Boot im schatten großer Tamarisken, was will man mehr … und am Abend, deutlich nach Sonnenuntergang, kann man auch wieder lauwarme Nahrung zu sich nehmen.

Aspalathrokambos / Oinousses

Mittwochmittag verlassen wir aber dann doch den Hafen, um uns eine Ankerbucht in der Nähe zu suchen in der Hoffnung auf etwas bessere Durchlüftung in der Nacht – der Nordwind bläst zwar ununterbrochen und kräftig, aber vorm Ort wird er doch stark abgelenkt und ist recht böig.

Inseln überall: die Oinousses

Wir verholen uns stolze drei Seemeilen nach Osten ans Ende der Hauptinsel und haben die Wahl zwischen etlichen Ankerbuchten mit Nordschutz – alle leer, und wir sehen auch kein anderes Boot auf dem Wasser. Hier, unmittelbar vor der türkischen Küste, zerfällt der Oinousses-Archipel in unzählige kleine Inselchen – beim Blick nach Süden fühlt man sich fast wie in einem Binnengewässer. Es ist jedenfalls herrlich ruhig, kein Schwell kommt in die Bucht, und der Nordwind weht die ganze Nacht mit gleichmäßigen 4-5 Beaufort übers Boot und senkt die Temperaturen auf ein erträgliches Maß.

Chios Marina / Chios

Obwohl der Ankerplatz temperaturtechnisch ideal ist, gehen wir dennoch am nächsten Vormittag wieder Anker auf – wir wollen schließlich mit unserer knappen Zeit doch noch etwas mehr anfangen. Der inzwischen mit 6-7 wehende Nordwind bläst uns nur unter Kutter mühelos in zwei Stunden in die 11 Seemeilen entfernte Chios Marina, jenes für immer unfertige Betonmonstrum weit außerhalb der Stadt, welches perfekt sichere, kostenlose Liegeplätze für die Inselerkundung bietet – und sonst auch nichts. Wir haben die Marina noch nie so voll gesehen, nur mit Glück bekommen wir noch einen Platz – alle Segler des Großraums verstecken sich hier vor dem anhaltenden Starkwind.

Am Abend laufen wir in die Stadt, besorgen einen Mietwagen für den nächsten Tag und essen im schon im letzten Jahr wärmstens empfohlenen ‘Vradhypous‘ zu Abend – was diesmal etwas länger dauert, weil erst mal eine Stunde der gesamte Strom ausfällt … kein Problem für den, der Geduld hat!

Während wir beim ersten Besuch auf Chios im Herbst ’21 den Inselsüden erkundet haben, lenken wir am nächsten Tag unseren Mietwagen gen Norden; hier ist viel weniger los, da es eher Natur als alte Dörfer zu sehen gibt, was wohl weniger Touristen anzieht.

Bei Agios Isidoros

Dabei hat die es in sich: wir besuchen zunächst die Hafenorte Lagadha und Kardhamila (und staunen dabei, wie guten Schutz diese beim herrschenden Nordwind bieten, das ist der Seekarte nicht anzusehen!) und fahren dann die schmale Küstenstraße hinauf an die Nordküste. Hier begegnet einem kaum noch ein anderes Auto, man ist allein in einer atemberaubend schönen Umgebung: 1300 Meter ragen die Berge steil aus dem tiefblauen Meer, sattgrüne Pinienwälder liegen in den Taleinschnitten zwischen wild zerklüfteten Felsenkämmen. Es gibt nur noch wenige Ansiedlungen, in denen sich dann allerdings auch beeindruckende Villen finden – ein paar Reiche wissen auch, wo’s schön ist!

 

Man muss wirklich viele Kilometer fahren, um diesen Teil der Insel zu sehen, und das sehr langsam auf wild gewundenen Straßen – bei den herrschenden Temperaturen ist allerdings die Fahrt im klimatisierten PKW definitiv ein Teil des Vergnügens 🙂

Agio Galas: schattiger Talgrund …

Am Nachmittag erreichen wir den Nordwesten der Insel; hier sind die Berge niedriger, und es ist viel karger und trockener. Wir fahren bis zum alten Bergdorf Agio Galas, wo es eine Tropfsteinhöhle zu sehen gibt (die wir leider nicht mehr die Zeit haben anzuschauen) und sich in einem schattigen Tal unter alten Platanen eine munter sprudelnde Quelle und eine einfache Gastwirtschaft befindet.

… mit kühler Quelle

Hier kehren wir ein und lassen in dieser Oase der Ruhe und (relativen) Kühle den Tag  ausklingen. Der Ort ist herrlich, das Essen unprätentiös gut und inseltypisch, und das Wasser wird direkt aus der Quelle entnommen und auf den Tisch gestellt, wie in alten Zeiten. Was für ein schöner Ort mitten im Nichts!

Lagadha / Chios

Am Samstagmittag lässt der seit Tagen heftig blasende Nordwind etwas nach, so dass wir uns aus der Marina trauen und versuchen, etwas Höhe Richtung Lesvos aufzubauen.

Näher an der Gastronomie geht’s nicht!

Da uns beim Autoausflug am Vortag der Hafenort Lagadha so gut gefallen hat und wir festgestellt haben, dass es dort bei Nordwind erstaunlich ruhig ist, wollen wir dort nochmal Station machen. Wir kreuzen also den ganzen Nachmittag in langen Schlägen auf, bis wir schließlich den Hafen ansteuern können. Wir sind gespannt, ob es dort noch einen Platz an der Stadtkaje gibt – und stellen erstaunt fest, dass wir dort alleine sind! Offenbar geht es nicht nur uns so, dass dieser Hafen leicht übersehen oder für ungeeignet gehalten wird …

Wir finden den (kostenlosen) Liegeplatz jedenfalls super: die Distanz vom Boot bis zum Freddo im Café beträgt exakt zwei Meter – und später, auf dem Rückweg von der Taverna, gibt es dort auch noch einen Cocktail, während wir darauf warten, dass sich die Hitze etwas legt. Eine schöne Entdeckung!

Kardhamila / Chios
Kardhamila

Auch am Sonntag bleiben wir noch auf Chios und bringen uns nur in eine bessere Startposition (wie wir glauben) für die Überfahrt nach Lesvos; wir kreuzen wieder fleißig gegen den Nordwind durch die Oinousses-Straße und laufen den zweiten neuentdeckten Hafenort an, Kardhamila an der Nordküste. Die Hafenanlage selbst (ein Beton-Monstrum) und den Ort (zu viel Straßenverkehr an der Wasserfront) fanden wir nicht so nett wie Lagadha, daher ankern wir für die Nacht am Südende der Bucht; hier ist es zwar nicht so schön zum Baden, der der ständige Nordwind den Dreck der halben Ägäis anspült, aber der Blick auf die Berge ist imposant. Tatsächlich verbringen wir eine ruhige Nacht, obwohl die Bucht sich doch nach Norden öffnet – erstaunlich!

Paralia Ligonari / Lesvos

Am Montag machen wir uns an die letzte Überfahrt dieses Törns: gut 30 Seemeilen gen Norden sind es bis Lesvos. Laut Wettervorhersagen sollte der großräumige Nordwind zwischen den Inseln zum Nordwest werden, weswegen wir es für eine gute Idee hielten, uns in eine westlichere Startposition zu bringen, und eine Woche zuvor haben wir ja auch erlebt, wie wir hier mit kräftigem West vorbeigerauscht sind. Als wir aber die Bucht von Kardhamila verlassen, weht es verhalten aus Nordnordost – uns genau auf die Nase! Wenn man sich in diesem Frühjahr auf eines verlassen kann, dann darauf, dass die Wettervorhersagen wenig taugen …

Gute Alternative: Paralia Ligonari

Wir motoren eine ganze Weile, bis endlich der Wind westlicher dreht und zulegt – offenbar gibt es hier eine Konvergenzzone, die in den Modellen nicht enthalten ist. So können wir die zweite Tageshälfte doch noch segeln und erreichen am späten Nachmittag Lesvos. Unsere Lieblingsbucht an der Südostküste, Tsilia, ist mit 4 Ankerliegern schon gut gefüllt, also biegen wir in die Nachbarbucht ab und ankern vorm Strand von Ligonari – alleine. Es fehlt zwar die hübsche Kapelle der Nachbarbucht, aber auch hier findet sich genug guter Ankergrund, das Wasser ist herrlich sauber, und die Umgebung grün und friedlich.

Perama / Lesvos

Da wir immer noch reichlich Zeit haben, in die Marina zu kommen, suchen wir uns noch ein paar Zwischenziele; wir wollen zunächst Skala Loutron anlaufen, aber auch dort liegen schon etliche Boote vor Anker, als wir am Dienstagvormittag in den Kolpos Geras einlaufen.

Pier von Perama – Salzbeschichtung inklusive

Wir entscheiden uns ziemlich spontan für den Fischerort Perama, wo wir bei 12 Knoten Wind gut hinter der Stadtpier liegen. Was wir dabei dummerweise vergessen haben, ist die Windvorhersage für die kommende Nacht, wo es kräftig auffrischen soll – weswegen sich auch so viele Boote in der Bucht von Loutra gegenüber versteckt haben. Zwar ist der Liegeplatz auch bei Starkwind aus Nord sicher, aber im Kolpos Geras baut sich eine beeindruckende Welle auf, die gegen die Nordseite jener Pier brandet und alles dahinter mit einem konstanten Sprühnebel aus Salzwasser beglückt – wir müssen trotz der Hitze die Luken geschlossen lassen und können uns am nächsten Morgen über eine mehrere Millimeter dicke Salzkruste auf jeder gen Luv gerichteten Fläche freuen …

Äußerst stimmungsvoll: Café in Perama

Der von See kommend nicht so hübsch aussehende Ort – hier gibt es einige verfallende frühindustrielle Bauten aus der Hochzeit der Olivenölproduktion, in der der Ort von einiger Bedeutung war, aber das ist lange vorüber – entpuppt sich aber als recht nett, es gibt fast nur (sehr freundliche!) Einheimische und natürlich gutes Essen zu noch völlig untouristischen Preisen; also, bei weniger starkem Nordwind kämen wir auch wieder 😉

Paralia Charamidha / Lesvos

Ziemlich übernächtigt verlassen wir bei immer noch starkem Nordwind Perama; das Ablegemanöver gestaltet sich äußerst einfach: Leinen loswerfen, den Rest erledigt der Wind. Nur unter Kutter gleiten wir vor dem Wind aus dem Kolpos Geras und suchen uns noch einen letzten Ankerplatz zum Baden und Erholen, bevor es nach Mytilini geht.

Paralia Charamidha am Tag …

Vor Charamidha gibt es einen sehr langgezogenen Sandstrand, der sogar bewirtschaftet wird: drei Strandbars bieten Sonnenliegen, und es gibt ausnahmsweise mal eine Schwimmerabsperrung. Dort, wo diese endet, kann man aber noch vernünftig ankern, und zur Abkühlung ins kristallklare Wasser springen.

… und am Abend

Der Wind hält noch bis zum Abend durch, dreht dann sogar nochmal auf und fällt mit Böen der Stärke 8 über uns her, aber beim Schnorcheln hat sich schon gezeigt, dass man hier krisensicher liegt: der Bügelanker ist vollkommen im grobkörnigen Sand verschwunden, man sieht nur noch die Kette im Boden verschwinden. Besser geht’s nicht – und später beruhigt sich das Wetter auch noch, so dass wir eine deutlich bessere Nacht verbringen. Wie so oft zeigt sich, dass es vor Anker ruhiger und sicherer ist als im Hafen – das hätten wir uns früher so nicht vorstellen können!

Mytilini / Lesvos

Den Donnerstagvormittag verbringen wir noch am Ankerplatz und nehmen ein letztes Bad, bevor wir uns auf den Weg in die Marina Mytilini machen; wie schon früher auf dieser Strecke scheitern unsere Ambitionen, die letzten Meilen unter Segeln zurückzulegen, am fehlenden Wind – hier hinter Lesvos regt sich häufig kaum ein Lüftchen.

Am frühen Abend erreichen wir nach 650 Seemeilen in gut 8 Wochen den Liegeplatz, der nun für die nächsten 12 Monate unserer ist – weiter hinten in der Hafenanlage bei den kleineren Booten, was uns viel besser gefällt, ist es doch kaum möglich, sich gegen die zeitgemäßen, hochbordigen Dickschiffe vernünftig abzufendern.

Die verbleibenden Tage bis zum Rückflug vergehen mit dem üblichen Ausflug zur Küstenwache für den Papierkram, dem Abschlagen der Vorsegel (das Groß bleibt – zusätzlich geschützt durch die alte Persenning über den neuen lazy bags – am Baum), allerlei Aufräumarbeiten – und natürlich dem allabendlichen Genuss der hervorragenden Gastronomie in Mytilini! Beim Abschiedsessen am Sonntagabend bleibt uns nur zu hoffen, dass wir möglichst bald zurückkehren können …